Pauschalierungsklausel für Kartellschäden AGB-rechtlich zulässig

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem vor kurzem veröffentlichten Urteil vom 10. Februar 2021 (KZR 63/18 – Schienenkartell VI) eine in den Vertragsbedingungen eines öffentlichen Auftraggebers enthaltene Klausel, nach der der Auftragnehmer im Falle seiner Beteiligung an einer Kartellabsprache aus Anlass der Vergabe zur Zahlung eines pauschalierten Schadensersatzes i.H.v. 5 % der Abrechnungssumme verpflichtet ist, für AGB-rechtlich zulässig erklärt. Zumal der BGH in einem obiter dictum entsprechende Schadenspauschalen i.H.v. bis zu 15 % für zulässig erachtet, hat dieses Urteil weitreichende Bedeutung nicht nur für Vertragsbedingungen öffentlicher Auftraggeber, sondern auch für Einkaufsbedingungen privater Unternehmen.

Sachverhalt

Die Klägerin, ein öffentliches Nahverkehrsunternehmen mit Sitz in Berlin, hatte bei öffentlichen Beschaffungen in den „Zusätzlichen Vertragsbedingungen (ZVB)“ folgende Klausel verwendet:

„Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung oder eine unlautere Verhaltensweise darstellt, hat er 5 v.H. der Abrechnungssumme als pauschalierten Schadensersatz an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird.“

Aufgrund dieser Klausel hatte die Klägerin Schadensersatz gegen die Beklagte geltend gemacht, die ausweislich eines rechtskräftigen Bußgeldbescheides des BKartA am sog. Schienenkartell beteiligt war. Der BGH folgte dem Berufungsurteil im Grundsatz, indem er die Schadenspauschalierungsklausel für zulässig erachtete, verwies den Fall aber wegen einer fehlerhaften Begründung hinsichtlich der Darlegungs- und Beweisanforderungen für einen niedrigeren Schaden an das Berufungsgericht zurück.

Wesentliche Entscheidungsgründe des BGH

1. In bemerkenswerter Deutlichkeit stellt der BGH fest, dass die im konkreten Fall verwendete Pauschalierungsklausel für     Kartellschäden i.H.v. 5 % der Auftragssumme AGB-rechtlich nicht zu beanstanden sei. Zugleich stellte der BGH in einem obiter dictum  fest, dass auch entsprechende Klauseln, die eine Schadenspauschale von bis zu 15 % der Auftragssumme vorsehen, ebenfalls  zulässig seien.

Es läge kein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB vor, da eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders, also potenzieller Kartellanten, nicht ersichtlich sei. 

So sei die Bezifferung eines Schadens regelmäßig mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten und zudem oftmals mit großem sachlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Pauschalierungsklauseln verfolgten deshalb grundsätzlich einen anerkannten Zweck, die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zu rationalisieren. Zudem läge ein Informationsdefizit zulasten des redlichen Klauselverwenders vor, da dieser im Zeitpunkt der Bemessung der Schadenspauschale typischerweise keine ausreichenden Daten zur Verfügung hätte, um einen etwaigen eigenen zukünftigen Schaden mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln. Pauschalierungsklauseln dienten zudem der effizienten Durchsetzung der Wettbewerbsregeln. Dies entspreche dem unionsrechtlichen effet utile Gebot. 

Jedenfalls dann, wenn es an hinreichenden empirischen Erkenntnissen für eine branchentypische Schadenshöhe fehle, bedürfe es keiner Darlegung eines branchentypischen Durchschnittsschadens. Vielmehr genüge, dass der Klauselverwender bei der Bemessung der pauschalen Schadenshöhe auf ökonomisch fundierte allgemeine Analysen kartellbedingter Preisaufschläge bezugnehme. Die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Oxera-Studie habe im Mittelwert kartellbedingte Preisaufschläge von 20 %, eine weitere Studie von Boyer/Kotchonie komme auf einen Mittelwert von 15 %.

Die Pauschalierungsklausel verstoße in ihrer konkreten Formulierung auch nicht gegen das Transparenzgebot. Insbesondere sei für den maßgeblichen unternehmerischen Verkehr der verwendete Begriff der „Abrechnungssumme“ ohne weiteres verständlich (Nettoabrechnungssumme vor Skontoabzug).

2. Die konkret zu beurteilende Klausel schließe auch nicht den Nachweis des Vertragspartners des Verwenders aus, einen fehlenden oder wesentlich niedrigeren Schaden nachzuweisen. Denn erforderlich sei nicht, dass dem Vertragspartner des Verwenders die Möglichkeit des Nachweises eines geringeren Schadens ausdrücklich gestattet werde.

3. An den dem Schädiger obliegenden Nachweis eines ihm günstigen, weil zu einem geringeren oder keinen Schadens führenden hypothetischen Marktpreises dürfen bei Vereinbarung einer Schadenspauschalierungsklausel keine anderen oder höheren Anforderungen gestellt werden als diejenigen, die umgekehrt für die Darlegung und den Beweis des hypothetischen Marktpreises durch den Geschädigten gelten, wenn keine Schadenspauschalierung vereinbar ist oder der Geschädigte an die Pauschale überschreitenden Schaden behauptet. Der Tatrichter muss auf Grundlage einer Gesamtwürdigung sämtlicher, von den Parteien vorgebrachter Indizien sich eine am Maßstab des § 287 ZPO zu messende Überzeugung zu einem hypothetischen Marktpreis bilden können. Insoweit gelten die vom BGH in seinem Urteil vom 28. Januar 2020 (KZR 24/17 - Schienenkartell II) aufgestellten Maßstäbe.

    Fazit und Empfehlung

    • Mit seinem Urteil vom 10. Februar 2021 bringt der BGH Klarheit hinsichtlich der AGB-rechtlichen Wirksamkeit von Schadenspauschalierungsklauseln bei Kartellverstößen, nachdem sich in den vergangenen Jahren die instanzengerichtliche Rechtsprechung noch unterschiedlich zur Zulässigkeit derartiger Klauseln und zur Höhe der Schadenspauschalierung geäußert hatte.
    • Auch wenn die konkret zu beurteilende Klausel im Zusammenhang mit öffentlichen Beschaffungsvorgängen verwendet wurde, lässt sich die Rechtsprechung des BGH ohne Weiteres auf private Beschaffungsvorgänge übertragen. Für AGB-Verwender empfiehlt sich deshalb nunmehr zu prüfen, ob die eigenen Einkaufsbedingungen um eine Schadenspauschalierungsklausel ergänzt oder eine bereits verwendete Klausel angepasst werden sollte. Gerade für KMU stellt sich als häufiger von Kartellabsprachen Geschädigte regelmäßig das (auch finanzielle) Problem, einen konkret entstandenen Schaden (mittels eines ökonomischen Sachverständigengutachtens) nachzuweisen.
    • Für potenzielle Kartellanten ist die Entscheidung des BGH naturgemäß kein Grund zur Freude. Diese müssten zukünftig bei einer Kartellbeteiligung regelmäßig die Zahlung von Schadensersatz in die „Kalkulation“ mit einbeziehen, wenn Kunden entsprechende Schadenspauschalierungsklauseln in ihren Einkaufsbedingungen verwenden. Dies gilt es auch beim Stellen von Kronzeugenanträgen zu berücksichtigen.