Rechtsschutz Privater gegen Infrastrukturprojekte bei Verschlechterung des Grundwassers

Mit Urteil vom 28.05.2020 (Rs. C-535/18) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mehrere in der Rechtsprechung und Literatur diskutierte Fragen zur Öffentlichkeitsbeteiligung in Zulassungsverfahren mit Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) sowie zu den Anforderungen der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) geklärt. Die Entscheidung des EuGH ist von hoher Relevanz für die Zulassung von Projekten und Nutzungen, die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt haben.

Hintergrund

Gegenstand der Entscheidung des EuGH war ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 25.04.2018 (Az. 9 A 16.16) betreffend den Neubau der A 33/B 61, Zubringer Ummeln, auf dem Gebiet der Stadt Bielefeld. Die erste Vorlagefrage des BVerwG betraf die nach nationalem Recht nur eingeschränkte Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern durch Privatkläger. Letztere können sich nach § 4 Abs. 3 S. 2 UmwRG lediglich auf sie selbst betreffende Verkürzungen von Verfahrensrechten, nicht aber auf dahingehende Rechtsverletzungen Dritter berufen. In der zweiten Vorlagefrage bat das BVerwG den EuGH um Klärung, ob aus der WRRL bestimmte verfahrensrechtliche Anforderungen resultieren, insbesondere im Hinblick auf die Auslegung von Unterlagen zur wasserrechtlichen Prüfung im Rahmen von Öffentlichkeitsbeteiligungen. Die dritte Vorlagefrage behandelte die bei der Prüfung des wasserrechtlichen Verschlechterungsverbots im Hinblick auf Grundwasser (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 WHG) anzuwendenden Kriterien. In seiner vierten und letzten Vorlagefrage wollte das BVerwG schließlich wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen Privatkläger sich in verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf etwaige Verstöße gegen das wasserrechtliche Verschlechterungsverbot berufen können.

Entscheidung des EuGH

Auf die erste Vorlagefrage des BVerwG bestätigte der EuGH zunächst die Vereinbarkeit des § 4 Abs. 3 S. 2 UmwRG mit dem Unionsrecht. Die Vorschrift bestimmt, dass Privatkläger die Aufhebung einer behördlichen Zulassungsentscheidung (z.B. für ein Straßenbauvorhaben oder ein sonstiges Infrastrukturvorhaben) nur verlangen können, wenn etwaige Verfahrensfehler ihnen die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen haben. Diese Einschränkung gilt für anerkannte Umweltvereinigungen nicht. Der EuGH hat diese im nationalen Recht vorgesehene Differenzierung zwischen den Rechtsbehelfsmöglichkeiten von Privatklägern und anerkannten Umweltvereinigungen im Grundsatz nicht beanstandet. Allerdings gelte die in § 4 Abs. 3 S. 2 UmwRG geregelte Einschränkung des Rechtsschutzes von Privatklägern nur für solche Verfahrensfehler, die sich nicht auf den Inhalt der Entscheidung der Behörde ausgewirkt haben können.

Bezüglich der zweiten Vorlagefrage des BVerwG stellte der EuGH klar, dass die im Einzelfall zuständige Behörde vor Erlass ihrer Zulassungsentscheidung die Vereinbarkeit des Projekts mit dem wasserrechtlichen Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot (§ 27 WHG und § 47 WHG) prüfen muss. Eine dahingehende wasserrechtliche Prüfung erst nach Ergehen der Zulassungsentscheidung (z. B. im Gerichtsverfahren) sei hingegen nicht ausreichend. Für die Zulassung UVP-pflichtiger Vorhaben seien der Zulassungsbehörde vorliegende wasserrechtliche Fachbeiträge, die die Auswirkungsprognose des Projekts beinhalten, zudem zwingend im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung auszulegen.

Hinsichtlich der dritten Vorlagefrage bejahte der EuGH die grundsätzliche Übertragbarkeit seiner zum Verschlechterungsverbot bei Oberflächenwasserkörpern entwickelten Prüfmaßstäbe auf Grundwasserkörper. Demzufolge liegt eine Verschlechterung eines Grundwasserkörpers vor, sofern mindestens eine Qualitätskomponente oder ein Schwellenwert der WRRL überschritten wird oder wenn sich die Konzentration eines Schadstoffs, dessen Schwellenwert bereits überschritten ist, voraussichtlich noch weiter erhöhen wird. Eine Verschlechterung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers nimmt der EuGH dabei schon dann an, sofern eine Qualitätskomponente an nur einer einzigen Überwachungsstelle nicht erfüllt wird.

Die wohl größte praktische Relevanz kommt der Antwort des EuGH auf die vierte Vorlagefrage des BVerwG zu. Anders als das BVerwG bejaht der EuGH grundsätzlich eine Befugnis von Privatklägern, vor den nationalen Gerichten Verletzungen des Verschlechterungsverbots und Verbesserungsgebots nach der WRRL geltend zu machen. Hierzu müssten klagende Private von einem in Rede stehenden Verstoß gegen die wasserwirtschaftlichen Bewirtschaftungsziele unmittelbar betroffen sein. Letzteres sei etwa bei der legalen Nutzung und Entnahme von Grundwasser über einen Hausbrunnen der Fall. Bei illegaler Grundwassernutzung bzw. -entnahme verleihe das Unionsrecht Privatpersonen hingegen kein Klagerecht.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des EuGH verschärft die von Behörden und Vorhabenträgern in komplexen Zulassungsverfahren zu beachtenden Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung und das materielle Wasserrecht. Gleichzeitig drängt die Entscheidung des EuGH die Bedeutung der deutschen Schutznormtheorie in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in denen es um auf das Unionsrecht zurückgehende Vorschriften des Umweltrechts geht, weiter zurück. Dies betrifft namentlich die Ausweitung des Rechtsschutzes Privater bei Verstößen gegen die wasserrechtlichen Bewirtschaftungsziele. Dementsprechend ist die Entscheidung des EuGH von erheblicher praktischer Bedeutung. In bereits laufenden Zulassungsverfahren kann das Urteil im Einzelfall Anlass geben, die vom Vorhabenträger eingereichten wasserrechtlichen Antragsunterlagen zu überprüfen. In zukünftig durchzuführenden Zulassungsverfahren erscheint es zur Reduzierung von Klagerisiken und Vermeidung von späteren Projektverzögerungen ratsam, Antragsunterlagen möglichst bereits im Rahmen der behördlichen Vollständigkeitsprüfung im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit den vom EuGH zur WRRL entwickelten Beurteilungsmaßstäben näher zu würdigen.

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