Reverse Engineering – Wie können Unternehmen ihr Know-How noch dagegen schützen?

Die Rechtslage zum Reverse Engineering hat sich mit dem In-Kraft-Treten des GeschGehG grundlegend geändert – quasi umgekehrt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein (vertraglicher) Schutz des unternehmenseigenen Know-Hows gegen ein Reverse-Engineering durch Wettbewerber überhaupt noch möglich ist und wie Geheimhaltungsvereinbarungen angepasst werden sollten.

Was bedeutet Reverse Engineering

Reverse Engineering“ („rekonstruierende Produktanalyse“, „Rückwärtsanalyse“) beschreibt den Vorgang, bei dem durch Beobachten, Untersuchen, Rückbauen und Testen von erworbenen Mitbewerberprodukten versucht wird, an das im Produkt/Gegenstand enthaltene Know-How zu gelangen.

Alte Rechtslage

Bislang war dieses Vorgehen im Grundsatz unzulässig. Ein Rückbau des Produkts war lediglich gestattet, wenn dies ausnahmsweise gesetzlich erlaubt war (z.B. § 69d Abs. 3 UrhG) oder der Rückbau für einen Fachmann ohne größeren Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand zur Erschließung der Geschäftsgeheimnisse möglich war (sog. Offenkundigkeitseinwand).

Neue Rechtslage nach dem GeschGehG

 

Mit In-Kraft-Treten des GeschGehG ist das Reverse Engineering ein grundsätzlich rechtmäßiges Mittel zum Erwerb von Geschäftsgeheimnissen und zwar unabhängig davon, welchen Aufwand der Rückbauende dafür betreiben muss. Im Interesse von Innovationen und Wettbewerbsförderung sollen keine Exklusivrechte an als Geschäftsgeheimnis geschützten Know-Hows bestehen. Dabei unterscheidet § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG zwei Alternativen des zulässigen Reverse Engineerings:

a) Öffentlich verfügbare Produkte/Gegenstände

Ein Reverse Engineering an Produkten/Gegenständen ist zulässig, wenn das Produkt/der Gegenstand öffentlich verfügbar gemacht wurde. Dies ist der Fall, wenn es auf den Markt und in den Vertrieb gelangt ist und für die Öffentlichkeit frei erhältlich ist. Die Lieferung an einen einzigen Abnehmer ist nicht ausreichend. Schwierig ist die Beurteilung von Grenzfällen, z.B. wenn es ohnehin nur eine eng begrenzte Anzahl von Abnehmern gibt.

b) Rechtmäßig im Besitz und keine Pflicht zur Beschränkung

Ist ein Produkt/ein Gegenstand nicht öffentlich verfügbar, ist ein Reverse Engineering dennoch erlaubt, wenn der Rückbauende das Produkt rechtmäßig im Besitz hat und ihm das Reverse Engineering nicht vertraglich untersagt wurde. Relevant ist dies z.B. im Falle von Entwicklungskooperationen, wenn der eine Vertragspartner einen Prototyp für die weitere Zusammenarbeit zur Verfügung stellt.

Weiterhin untersagt ist also jedenfalls die unrechtmäßige Beschaffung eines noch nicht veröffentlichten Prototyps eines Wettbewerbers. Zudem bleiben immaterialgüterrechtliche Schranken unberührt (also z.B. Schranken des Urheberechts oder Patentrechts).

Vertragliche Beschränkung des Reverse Engineering möglich?

Da in einem Produkt oft wertvolles Know-How enthalten ist, stellt sich die Frage, inwieweit ein Reverse Engineering durch vertragliche Vereinbarungen wirksam untersagt werden kann. Ein Rückbauverbot in Individualverträgen wird wohl grundsätzlich möglich sein, sofern die Grenzen der Gesetzes- und Sittenwidrigkeit nicht überschritten werden. In der Praxis wird es sich aber regelmäßig um AGB handeln. Auch Geheimhaltungsvereinbarungen sind den meisten Fällen als AGB zu qualifizieren. Ob ein Verbot des Reverse Engineering in AGB zulässig ist, ist umstritten. Hier muss zwischen den beiden obigen Alternativen unterschieden werden.

Es sprechen erhebliche Argumente dafür, dass ein Verbot des Reverse Engineering in Bezug auf öffentlich verfügbare Produkte in AGB unwirksam ist. Zum einen sieht § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a GeschGehG im Gegensatz zu der zweiten Variante (rechtmäßiger Besitz und vertraglich nicht untersagt) keine entsprechende Beschränkung vor. Zum anderen soll ein Reverse Engineering bei öffentlich verfügbaren Produkten gemäß der maßgeblichen Europäischen Richtlinie „unbeschränkt“ zulässig sein.

Besser für den Know-How-Schutz sieht es hingegen bei den noch nicht öffentlich verfügbaren Produkten aus, die z.B. bei Entwicklungs- und Forschungszusammenarbeiten ausgetauscht werden. § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b GeschGehG sieht ausdrücklich die Möglichkeit der vertraglichen Beschränkung vor. Diese Möglichkeit würde aber quasi ins Leere laufen, wenn die Wirksamkeit solcher Beschränkungen an den AGB-rechtlichen Grenzen scheitern würde. Denn in der Regel handelt es sich in der Praxis bei Geheimhaltungsvereinbarungen (sog. NDAs) um AGB. Das widerspräche aber dem Ziel des GeschGehG durch weitergehenden Schutz von Geschäftsgeheimnissen gerade kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Alternativen zu aufwändigen Schutzrechten (wie Patenten) zu bieten. Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass die Wirksamkeit solcher AGB zur Folge hätte, dass jedenfalls in der Praxis die Regel (Reverse Engineering ist zulässig) zur Ausnahme absinken würde und dies dem Grundgedanken des GeschGehG („Keine Exklusivrechte an Know-How im Interesse von Innovationen und Wettbewerb“) widersprechen würde.

Praxistipp

Auch wenn die Zulässigkeit einer Einschränkung des Reverse Engineerings in AGB höchst umstritten ist, empfiehlt es sich eine entsprechende Verbotsklausel in die Geheimhaltungsvereinbarungen aufzunehmen. Dies sollte in zwei Schritten geschehen:

Ein Verbot, das im Rahmen der Zusammenarbeit erhaltene Geschäftsgeheimnis zu nutzen, ist bereits jetzt standardmäßig in Geheimhaltungsvereinbarungen enthalten. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass dem Vertragspartner ein Reverse Engineering untersagt ist, auch wenn er das dadurch erlangte Know-How nicht nutzen dürfte, ohne gegen die Geheimhaltungsvereinbarung zu verstoßen. NDAs sollten also durch eine Regelung ergänzt werden, die bereits die Handlung des Reverse Engineering untersagt. Da in der Praxis der Nachweis einer Geheimhaltungsverletzung sehr schwierig ist, empfiehlt es sich, hier vertraglich frühestmöglich anzusetzen und bereits die Erlangung des Know-Hows zu verhindern. Zudem sollten Unternehmen in Bezug auf öffentlich verfügbare Produkte noch mehr Wert auf den mechanischen Schutz des in den Produkten enthaltenen Know-Hows legen.

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