Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zum Schutz von Whistleblowern

Die Europäische Kommission hat nach öffentlicher Konsultation (s. hierzu meinen Blog-Beitrag vom 25.04.2017) am 23.04.2018 einen Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden) veröffentlicht. Das Europäische Parlament und der Rat beraten und entscheiden nunmehr über diesen Vorschlag. Ob die Richtlinie unverändert in Kraft tritt, bleibt abzuwarten. Die Chancen stehen aber durchaus gut. So hat das Europäische Parlament wiederholt und zuletzt im Oktober 2017 nachdrücklich die Kommission zu einer entsprechenden Gesetzgebungsinitiative aufgefordert. Sollte die Richtlinie in Kraft treten, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Hierbei sind die Mitgliedstaaten befugt, über die Mindeststandards der Richtlinie hinauszugehen.

Hintergrund

Nach Ansicht der Kommission zeigen die großen Skandale der letzten Jahre und Monate (LuxLeaks, Panama und Paradise Papers, Diesel-Skandal oder Cambridge Analytica), wie Fehlverhalten in Organisationen oder Unternehmen im öffentlichen oder privaten Sektor das öffentliche Interesse schwer beschädigen kann. Diese Skandale sind in vielen Fällen ans Licht gekommen sind, weil bestimmte Personen Hinweise gegeben haben, als ihnen Fehlverhalten im Rahmen ihrer Arbeit aufgefallen ist. Diese Hinweisgeber (Whistleblower) riskieren häufig ihre Karriere und ihre Lebensgrundlage oder sehen sich sogar schwerwiegenden und langwierigen Folgen für ihre Finanzen, ihre Gesundheit, ihren Ruf und ihr Privatleben ausgesetzt. Daher hält die Angst vor möglichen Repressalien die meisten Menschen davon ab, interne Missstände zu melden. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern ist deshalb von zentraler Bedeutung für die Verhütung von Fehlverhalten, die Wahrung öffentlicher Interessen, die Medien- und Meinungsvielfalt (da Hinweisgeber eine sehr wichtige Quelle für investigative Journalisten darstellen) und generell für die Förderung von Transparenz, Rechenschaftspflicht und demokratische Strukturen.

Der aktuelle und in der EU bestehende Hinweisgeberschutz in den Mitgliedstaaten ist insgesamt fragmentiert und erstreckt sich ungleichmäßig auf die verschiedenen Politikbereiche. Einige Mitgliedstaaten haben umfassende Rechtsvorschriften zu diesem Thema eingeführt. Andere Mitgliedstaaten, wie bspw. Deutschland, bieten nur in bestimmten Bereichen Schutz, bspw. bei der Bekämpfung von Korruption oder nur für den öffentlichen Sektor. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der Kommission notwendig und sinnvoll, einen einheitlichen politischen Rahmen zur Stärkung des Hinweisgeberschutzes auf EU-Ebene zu schaffen.

Inhalt

Der Richtlinienvorschlag basiert auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht auf freie Meinungsäußerung und den auf dieser Grundlage vom Europarat in dessen Empfehlung aus dem Jahr 2014 zum Schutz von Whistleblowern aufgestellten Grundsätzen sowie auf weiteren internationalen Standards und bewährten Verfahren und EU-Grundrechten und- Vorschriften.

Die Richtlinie erstreckt sich auf Verstöße gegen eine Vielzahl von Verordnungen und Richtlinien der Europäischen Union, u.a. in den Bereichen öffentliches Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Produkt- und Verkehrssicherheit, Umweltschutz, öffentliche Gesundheit und Verbraucherschutz. Umfasst sind auch Verstöße gegen die Vorschriften des EU-Kartellrechts sowie Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union. In persönlicher Hinsicht gilt die Richtlinie für Informationen von Hinweisgebern, die diese im beruflichen Kontext erlangt haben; Wahrnehmungen im privatem Umfeld fallen nicht unter die Richtlinie. Als Hinweisgeber geschützt werden nicht nur Arbeitnehmer und Selbstständige sondern u.a. auch Anteilseigner, Mitglieder der Leitungsorgane sowie unter Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeitende Personen.

Die erforderlichen Mechanismen zum Schutz von Hinweisgebern sollen Folgendes umfassen:

  • klare Meldekanäle innerhalb und außerhalb der Organisation, um die Vertraulichkeit zu wahren;
  • ein dreigliedriges Meldesystem bestehend aus

    • internen Meldekanälen; zur Errichtung sind alle Unternehmen mit 50 oder mehr Beschäftigten oder mit einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von mehr als 10 Mio. EUR verpflichtet (im Finanzdienstleistungsbereich sogar ohne jede Einschränkung), im öffentlichen Sektor betrifft dies staatliche und regionale Verwaltungen, Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts;

    • Meldungen an die zuständigen Behörden - wenn interne Kanäle nicht funktionieren oder nach vernünftigem Ermessen nicht funktionieren können (z. B. wenn die Nutzung interner Kanäle die Wirksamkeit von Untersuchungsmaßnahmen der zuständigen Behörden gefährden könnte); die Mitgliedstaaten müssen die zuständigen Behörden benennen, welche ihrerseits verpflichtet sind, diese externen Meldekanäle zu errichten (s. z B. das bereits errichtete anonyme Hinweisgebersystem des Bundeskartellamts für die Meldung von Kartellverstößen);

    • Meldungen in der Öffentlichkeit/den Medien - wenn nach der Meldung über andere Kanäle keine geeigneten Maßnahmen ergriffen werden oder wenn eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses oder die Gefahr eines irreparablen Schadens besteht.

  • Rückmeldepflichten für Behörden und Unternehmen' die innerhalb von drei Monaten auf Meldungen von Missständen reagieren und sie weiterverfolgen müssen.
  • Vermeidung von Vergeltungsmaßnahmen und wirksamer Schutz: Jegliche Vergeltungsmaßnahmen sind untersagt und sollen geahndet werden. Wenn ein Hinweisgeber Vergeltungsmaßnahmen erleidet, soll er Zugang zu kostenloser Beratung und angemessenen Abhilfemaßnahmen erhalten (z. B. Maßnahmen gegen Belästigung am Arbeitsplatz oder zur Vermeidung einer Entlassung). Die Beweislast wird in solchen Fällen umgekehrt, sodass die von der Meldung betroffene Person oder Organisation nachweisen muss, dass sie keine Vergeltungsmaßnahmen gegen den Hinweisgeber ergreift. Hinweisgeber werden auch in Gerichtsverfahren geschützt, etwa indem sie von der Haftung für offengelegte Informationen befreit werden.

Mit dem Vorschlag sollen verantwortungsvolle Hinweisgeber geschützt werden, die tatsächlich im öffentlichen Interesse handeln wollen. Daher enthält der Vorschlag auch Vorgaben an die Mitgliedstaaten, Sanktionen für Personen festzulegen, die in böser oder missbräuchlicher Absicht Informationen melden oder abgeben. Für die von der Meldung eines Hinweisgebers betroffenen Personen soll die Unschuldsvermutung gelten, und sie sollen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, ein faires Verfahren und Verteidigung haben.

Notwendige Maßnahmen für Unternehmen

Auch wenn die Richtlinie in erster Linie die Festlegung eines Mindeststandards für den Schutz von Whistleblowern zum Ziel hat, verpflichtet sie auch insbesondere Unternehmen konkret zur Einrichtung interner Meldekanäle. Dies war bisher aufgrund der durch die Rechtsprechung entwickelten Verpflichtung, die im Einzelfall erforderlichen und angemessenen Compliance-Maßnahmen vorzunehmen, nicht geboten. Die Vorgaben des Richtlinienvorschlags für interne (und externe) Meldekanäle entsprechen zwar dem allgemeinen empfohlenen Standard für Hinweisgebersysteme. Für viele Unternehmen bedeutet dies gleichwohl einigen finanziellen Aufwand. Ob dieser tatsächlich nur unbedeutend ist - die Kommission ermittelt für ein mittleres Unternehmen durchschnittliche einmalige Durchführungskosten von 1.374 EUR und durchschnittliche jährliche Betriebskosten von schätzungsweise 1.054,60 EUR - darf bezweifelt werden.

Unabhängig von der mittelfristig bestehenden gesetzlichen Verpflichtung ist zu berücksichtigen, dass bereits die Verpflichtung auch des öffentlichen Sektors zur Einrichtung von Meldesystemen für private Unternehmen die Notwendigkeit bedeutet "gleichzuziehen", um die Chance zu haben, interne Missstände selbst aufzuklären und möglichst rasch abzustellen, bevor potentielle Hinweisgeber externe Meldekanäle oder gar die Öffentlichkeit suchen (zur grundsätzlichen Konzeption eines unternehmensinternen Meldesystems s. meinen Beitrag vom 09.11.2016).

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