Rot/Gelb/Grün – Was plant die Ampel im Kartellrecht?

SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Freien Demokraten (FDP) haben am 24.11.2021 den Koalitionsvertrag 2021 - 2025 „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ vorgelegt. Was plant die Koalition im Hinblick auf das Kartellrecht und gilt dieses Motto auch hierfür?

Missbrauchsaufsicht

Im Hinblick auf die Missbrauchsaufsicht greifen die geplanten Maßnahmen die aktuellen Regelungen auf und entwickeln diese weiter.

  • Im Zuge der am 19.01.2021 in Kraft getretenen 10. GWB-Novelle hat der Gesetzgeber ausdrückliche Datenzugangsansprüche in den §§ 19, 19a und 20 GWB eingeführt. Die Koalition strebt einen besseren Zugang zu Daten an, insbesondere um Start-Ups sowie KMU neue innovative Geschäftsmodelle und soziale Innovation in der Digitalisierung zu ermöglichen. Ein Dateninstitut soll Datenverfügbarkeit und -standardisierung vorantreiben und Datentreuhändermodelle sowie Lizenzen etablieren. Hierfür sollen mit einem neuen Datengesetz die notwendigen rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Auch soll die Datenportabilität gestärkt werden. Um die freie Zugänglichkeit von Verkehrsdaten sicherzustellen, soll ein sogenanntes Mobilitätsdatengesetz geschaffen werden. Zur wettbewerbsneutralen Nutzung von Fahrzeugdaten wird ein Treuhänder-Modell angestrebt, das Zugriffsbedürfnisse der Nutzer, privaten Anbieter und staatlichen Organe sowie die Interessen betroffener Unternehmen und Entwickler angemessen berücksichtigt. Dies deutet darauf hin, dass die Koalition den im Januar neu eingeführten Regelungen allein nicht die nötige Durchschlagskraft zutraut und jedenfalls ergänzend auf regulatorische Maßnahmen setzt. Abzuwarten bleibt, in welchem Verhältnis die neuen Datengesetze zu den §§ 19 ff. GWB stehen sollen und welche Behörde mit der Durchsetzung der neuen Regelungen betraut wird.
  • Das Bündnis will darüber hinaus eine Verpflichtung zur Interoperabilität auf europäischer Ebene und über das GWB für marktbeherrschende Unternehmen verankern. Für Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb sieht der neue § 19a GWB bereits jetzt vor, dass die Verweigerung oder Erschwerung der Interoperabilität von Produkten oder Leistungen oder die Portabilität von Daten ein missbräuchliches Verhalten darstellt, welches von den Kartellbehörden untersagt werden darf. Entsprechendes soll also demnächst auch für lediglich marktbeherrschende Unternehmen gelten.
  • Mit Blick auf den derzeit von Kommission und Europäischem Parlament verhandelten Entwurf des Digital Markets Act (DMA) will sich die Koalition für ambitionierte Regelungen einsetzen, die nicht hinter den nationalen Regelungen (gemeint ist § 19a GWB) zurückfallen dürfen. Wie auch zuletzt in einem gemeinsamen Papier des ECN, insbesondere vom BKartA, aber auch weiteren nationalen Kartellbehörden gefordert, soll nach dem Willen der Koalition der DMA durch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten durchgesetzt werden.
  • Schließlich soll das BKartA im Umgang mit Plattformen gestärkt werden, ohne dass der Koalitionsvertrag bereits im einzelnen Hinweise darauf enthält, wie dies geschehen soll.
  • Außerhalb der Digitalwirtschaft will sich die Koalition für faire Preise im Lebensmitteleinzelhandel einsetzen und auch hier die Missbrauchsaufsicht des BKartA stärken, unter Umständen durch die Einführung eines Verbots des Verkaufs unter Produktionskosten. Bereits derzeit verbietet § 20 Abs. 3 GWB marktstarken Unternehmen generell den Verkauf von Lebensmitteln unter Einstandspreis. In dieser Hinsicht beobachtet werden soll insbesondere der Milchmarkt, der insoweit bereits Gegenstand einer Sektoruntersuchung des BKartA in den Jahren 2008 bis 2011 war.

Fusionskontrolle

Im Bereich Fusionskontrolle plant die Koalition verschiedene, z.T. in der jüngeren Vergangenheit bereits diskutierte Maßnahmen:

  • So soll das BKartA in Ergänzung seiner Befugnisse im Bereich der Missbrauchsaufsicht insbesondere im Hinblick auf die Digitalwirtschaft, aber auch den Lebensmitteleinzelhandel weitergehende Befugnisse im Bereich der Fusionskontrolle erhalten, ohne dass dies im Koalitionsvertrag näher konkretisiert wird. Über den im Januar dieses Jahres eingeführten § 39a GWB (sog. Remondis-Klausel) besteht bereits de lege lata die Möglichkeit einer verschärften Aufgreifmöglichkeit für Zusammenschlüsse in wettbewerblich vermachteten Branchen.
  • Das Ministererlaubnisverfahren in § 42 GWB soll so reformiert werden, dass wieder angemessene Klagemöglichkeiten gegen eine Ministererlaubnis bestehen und der Deutsche Bundestag am Verfahren beteiligt wird. Im Rahmen der 9. GWB-Novelle 2017 wurde die Berechtigung Dritter, Beschwerde gegen eine Ministererlaubnis einzulegen, als Konsequenz des insoweit nahezu uferlosen Verfahrens Edeka/Kaiser‘s Tengelmann auf Fälle beschränkt, in denen der Dritte geltend machen kann, durch die Ministererlaubnis in seinen Rechten verletzt zu sein. Eine Beteiligung des Deutschen Bundestages war und ist bisher gesetzlich nicht vorgesehen.
  • Auf europäischer Ebene will sich die Koalition für eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit als Ultima Ratio in verfestigten Märkten (gedacht ist auch hier wohl in erster Linie an die Digitalwirtschaft) sowie für eine Anpassung der Fusionskontrolle zur Unterbindung innovationshemmender strategische Aufkäufe potentieller Wettbewerber (sog. killer-acquisitions) einsetzen. Hiermit werden die in der jüngeren Vergangenheit bereits diskutierten Maßnahmen aufgegriffen.

Verbraucherschutz

Die Entwicklung des Kartellrechts, weg von seinem ursprünglichen Zweck, den Wettbewerb als Institution zu schützen, hin zu einem verbraucherschutzorientierten Regelwerk, wie sie sich in der europäischen Entscheidungspraxis schon seit längerem abzeichnet, hält auch in das GWB zunehmend Einzug. Dies belegt nicht zuletzt die Schaffung einer ausschließlich für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz zuständigen Beschlussabteilung im BKartA oder beispielsweise die Entscheidung des BKartA in Sachen Facebook, wonach die Verwendung datenschutzwidriger AGB den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt (siehe hierzu auch unseren Blogbeitrag vom 19.02.2019). Auch in diesem Bereich will die Koalition die behördlichen Durchsetzungsbefugnisse stärken:

  • So soll das BKartA (neue) Befugnisse erhalten, um bei erheblichen, dauerhaften und wiederholten Verstößen gegen Normen des wirtschaftlichen Verbraucherrechts analog zu Verstößen gegen das GWB Verstöße zu ermitteln und diese abzustellen.
  • Zudem soll die Verbraucherzentrale Bundesverband durch eine Anpassung der Finanzierung entsprechend dem gestiegenen Bedarf insbesondere bezüglich kollektiver Rechtsdurchsetzung gestärkt werden – zu denken ist hier in erster Linie an kartellrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche (§ 33 Abs. 4 GWB) und die Vorteilsabschöpfung durch Verbände nach Kartellverstößen (§ 34a GWB).

Compliance

Wenn auch mit anderem Fokus, betreffen zwei weitere Vorhaben zumindest auch das Kartellrecht:

  • Die Koalition plant, die Vorschriften der Unternehmenssanktionen einschließlich der Sanktionshöhe zu überarbeiten, um die Rechtssicherheit von Unternehmen im Hinblick auf Compliance-Pflichten zu verbessern und für interne Untersuchungen einen präzisen Rechtsrahmen zu schaffen. Offen bleibt, ob hiermit (auch) die Wiederaufnahme der Diskussion über den zuletzt gescheiterten Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (also Unternehmensstrafrechts) gemeint ist, oder ob dies nur die Erhöhung des für Unternehmen geltenden allgemeinen Bußgeldrahmens im OWiG betrifft (derzeit bis zu 10 Mio. EUR bei vorsätzlichen Straftaten, vgl. § 30 Abs. 2 OWiG). Durch entsprechende gesetzliche Regelungen den Unternehmen mehr Guidance dazu zu geben, welche Compliance-Maßnahmen ausreichend und angemessen sind, um eine Bußgeldhaftung zu vermeiden oder jedenfalls eine signifikante Bußgeldreduzierung zu erhalten, wäre ebenso notwendig wie die Frage des Schutzes im Zuge interner Untersuchungen erstellter Dokumente gesetzlich zu klären.
  • Schließlich beabsichtigt die Koalition, die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel umzusetzen. Da die Umsetzungsfrist am 17.12.2021 endet, wird dies erst mit einiger Verspätung erfolgen können. Es bleibt abzuwarten, ob das neue Dreier-Bündnis über die Vorgaben der Richtlinie hinausgeht oder sich tatsächlich auf die wichtige Frage konzentriert, die Richtlinie rechtssicher und vor allem praktikabel umzusetzen (siehe zum Thema auch unseren Blogbeitrag vom 24.04.2019).

Fazit

Der Koalitionsvertrag enthält nicht nur generell, sondern gerade auch im Hinblick auf das Kartellrecht eine Fülle ambitionierter Vorhaben. Ob deren Umsetzung tatsächlich zu mehr Fortschritt in der Durchsetzung der kartellrechtlichen Vorschriften, aber auch zu mehr Rechtssicherheit führt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird das Kartellrecht auch in den kommenden 4 Jahren weiterhin äußerst dynamisch bleiben. Wir werden an dieser Stelle also noch über zahlreiche Neuerungen berichten können.