Schadensersatz statt der Leistung im Mietrecht: Kann ein Vermieter im Anschluss an die zum Werkvertragsrecht ergangene BGH-Entscheidung des VII. Zivilsenats nach wie vor Ersatz fiktiver Mängelbeseitigungskosten verlangen?

Hintergrund: Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht

Der VII. u.a. für das Baurecht zuständige Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 22.02.2018 (AZ: VII ZR 46/17) für das Werkvertragsrecht/Baurecht entschieden, dass eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten (auf Gutachtenbasis) das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht - insbesondere im Baurecht - bei wertender Betrachtung nicht zutreffend abbilde, weil eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten häufig zu einer Überkompensation und damit zu einer nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers führen könne. Vor diesem Hintergrund hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für das Baurecht/Werkvertragsrecht entschieden, dass ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nicht (mehr) auf der Grundlage einer fiktiven Schadensberechnung zulässig sei. Nach Auffassung des VII. Senats sei es im Werkvertragsrecht auch nicht erforderlich, eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten zuzulassen, weil dem Besteller nach den gesetzlichen Regelungen eine einfachere Möglichkeit bleibt, auch ohne Vermögensbilanz seinen Vermögensschaden darzutun und zu bemessen, wenn er das mangelhafte Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt. Der Besteller könne sich auf die Betrachtung des mangelhaften Werkes im Vergleich zum mangelfreien Werk beschränken und aus einer Störung des werkvertraglichen Äquivalenzverhältnisses einen Anspruch ableiten. Sieht der Besteller von der Mängelbeseitigung ab, könne er nämlich nach §§ 634 Nr. 3, 638 BGB als Ausgleich für das verletzte Leistungsinteresse die Vergütung mindern.

Im Hinblick auf die zum Werkvertragsrecht/Baurecht ergangene Rechtsprechung des VII. Zivilsenates stellt sich nunmehr die Frage, ob diese zum Werkvertragsrecht/Baurecht ergangenen Schadensbemessungsgrundsätze auch auf andere Rechtsgebiete, insbesondere auf das Mietrecht übertragbar sind.

Tendenzen in der Rechtsprechung zur Frage der Übertragbarkeit der zum Werkvertragsrecht ergangenen BGH-Entscheidung auf andere Rechtsgebiete

Obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Übertragbarkeit der Entscheidung des VII. Senats auf andere Rechtsgebiete liegt bislang nur für das Kaufrecht vor. Das OLG Düsseldorf verweist in seinem Urteil vom 09.10.2018, AZ: 24 U 194/17 auf die Unterschiede zwischen Kaufrecht und Werkvertragsrecht, insbesondere darauf, dass einem Käufer im Kaufrecht anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht kein Vorschussanspruch zusteht und lehnt eine Übertragbarkeit der Entscheidung auf das Kaufrecht ab.

Zum Mietrecht sind nach Kenntnis der Unterzeichnerin bislang keine obergerichtlichen Entscheidungen ergangen. Veröffentlicht wurde lediglich ein Aufsatz von Lehmann-Richter (NZM 2018, 315 f.), in welchem allerdings ohne vertiefte Begründung die Auffassung vertreten wird, dass die Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung, welche zum Werkvertragsrecht/Baurecht ergangen sind und wonach der Ersatz fiktiver Mängelbeseitigungskosten zu verneinen ist, auch auf andere Rechtsgebiete übertragen werden könne. Auch das Landgericht Darmstadt, welches in den Entscheidungen vom 05.09.2018 und 24.10.2018 (AZ: 23 O 386/17 und 23 O 356/17) die Auffassung vertritt, dass sich die Rechtsprechung des VII. Senats zur Aufgabe der Zulässigkeit des fiktiven Schadensersatzes auf sämtliche Sachschadensfälle und damit sowohl auf kauf- oder mietrechtliche Gewährleistung als auch auf deliktische Ansprüche erstrecke, begründet diese Auffassung jedenfalls für das Mietrecht nicht fundiert.

Die Tatsache, dass obergerichtliche Rechtsprechung zum Mietrecht bislang noch nicht veröffentlicht, lässt aber nicht den Schluss darauf zu, dass sich die Oberlandesgerichte mit dieser Frage noch nicht befasst hätten. In einem kürzlich erst durch Vergleich beendeten und von der Unterzeichnerin betreuten Verfahren war die Frage, ob im Mietrecht Schadensersatz statt der Leistung in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten auf Basis einer Kostenaufstellung (Gutachtenbasis) nach wie vor geltend gemacht werden könne, Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (4. Zivilsenat).

Keine Übertragung der zum Werkvertragsrecht ergangenen Entscheidung auf das Mietrecht

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung lassen sich jedenfalls Tendenzen in der mietrechtlichen Rechtsprechung erkennen, wonach vieles dafür spricht, dass die Gerichte die zum Werkvertragsrecht/Baurecht ergangene Rechtsprechung auf das Mietrecht nicht übertragen werden, was nach der Rechtsauffassung der Unterzeichnerin auch richtig ist.

Mit einer Übertragung der für das Werkvertragsrecht ergangenen Entscheidung des VII. Zivilsenates auf das Mietrecht würde die mietrechtliche Rechtsprechung quasi "auf den Kopf gestellt" (so auch der 4. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts).

  • Würde man eine Schadensersatzpflicht des Mieters auf der Grundlage fiktiver Mängelbeseitigungskosten ablehnen, würden insbesondere die gefestigten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Schönheitsreparaturen komplett ausgehebelt. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Schönheitsreparaturen gilt, dass ein Mieter selbst dann einen Ausgleichsanspruch wegen unterlassener Durchführung von Schönheitsreparaturen schuldet, wenn ein Umbau/Abriss eines Mietobjektes erfolgt. Insoweit wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Mieter eine Kompensation für seine Schönheitsreparaturverpflichtung während der Mietzeit bereits erhalten hat, weil die Verpflichtung eines Mieters zur Vornahme von Schönheitsreparaturen einen Teil des von ihm geschuldeten Entgelts darstellt. Folglich kann ein Vermieter einen Ausgleichsanspruch für unterlassene Schönheitsreparaturen in Höhe der für eine Schönheitsreparatur erforderlichen (fiktiven) Kosten auch dann beanspruchen, wenn faktisch überhaupt keine Ausführung dieser Schönheitsreparaturen mehr möglich ist. Diese Kosten kann der Vermieter zwangsläufig nur abstrakt auf der Grundlage einer Kostenaufstellung (Gutachtenbasis) berechnen. Da die Parteien im Mietvertrag den Wert des auf die Schönheitsreparaturen entfallenden Entgeltanteils in der Regel nicht festlegen werden, bleibt dem Vermieter überhaupt keine andere Möglichkeit, als sich bei der Schadensberechnung an fiktiven Mängelbeseitigungskosten auf der Grundlage eines Kostenvoranschlages zu orientieren.
  • Anders als im Werkvertragsrecht, wonach der Besteller Vergütung mindern kann, hat ein Vermieter auch keine Möglichkeit, als Ausgleich für ein verletztes Leistungsinteresse die Vergütung (Miete) einseitig zu "erhöhen". Die Situation ist gegenüber dem Werkvertragsrecht im Mietrecht nämlich eine völlig andere. Anders als im Werkvertragsrecht kann ein Vermieter von einem Mieter, welcher während des laufenden Mietverhältnisses sogar weiterhin im Besitz der Mietsache ist, im Falle einer Verletzung einer Leistungsverpflichtung nur Erfüllung oder Schadensersatz verlangen. Die mietrechtlichen Regelungen sehen anderweitige Möglichkeiten zur Beseitigung der Störung des Äquivalenzinteresses nicht vor. Es gibt für den Vermieter z.B. auch keine Möglichkeit, die Miete in diesem Fall einseitig zu erhöhen. Würde man von einem Vermieter zur Durchsetzung seines Schadensersatzanspruches verlangen, dass dieser zunächst die Schadensbeseitigung durchführen lässt, würde dies für das laufende Mietverhältnis bedeuten, dass der vertragsbrüchige Mieter durch eine Vorleistung des Vermieters in den Genuss der Vorteile der Schadensbeseitigung gelangt und zwar auch dann, wenn er später nicht in der Lage wäre, dem Vermieter die hierfür angefallenen Kosten zu ersetzen (z.B. weil er nicht über die ausreichende Liquidität verfügt). Folglich ist es einem Vermieter nicht zumutbar, mit einer Leistung wegen Pflichtverletzung des Mieters auch noch in Vorlage zu gehen, was aber die Konsequenz wäre, wenn man die baurechtliche Rechtsprechung anwenden und die Geltendmachung fiktiven Schadensersatzes ablehnen würde. Das Argument des VII. Senates betreffend die Überkompensation des Schadens würde im Mietrecht ins Gegenteil verkehrt, denn durch eine Aberkennung fiktiven Schadensersatzes käme es im Umkehrschluss zu einer Übervorteilung des vertragssäumigen Mieters. Die Rechtsgebiete unterscheiden sich bereits grundlegend dadurch, dass ein Besteller im Besitz des mangelhaften Werkes ist, während ein Vermieter bei Vertragsverletzungen des Mieters Schadensersatz häufig während des laufenden Mietverhältnisses verlangt, also zu einem Zeitpunkt in welchem der Mieter noch im Besitz der Mietsache bleibt.
  • Im Werkvertragsrecht kann ein Besteller nach der gesetzlichen Regelung Vorschuss anfordern. Dieses Recht steht einem Vermieter im Mietrecht nach den gesetzlichen Regelungen nicht zu.

Fazit

Eine ausführliche dogmatische Begründung, warum das Urteil des VII. Senates auf das Mietrecht nicht übertragen werden kann, würde den Rahmen dieses Blogbeitrages sprengen. Festzuhalten ist aber, dass auch für das Mietrecht - ebenso wie für das Kaufrecht (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.10.2018, 24 U 194/17) - gelten muss, dass aufgrund der Unterschiede zum Werkvertragsrecht eine Übertragbarkeit der Entscheidung abzulehnen ist und im Mietrecht Schadensersatz statt der Leistung in Höhe fiktiver Mängelbeseitigungskosten bzw. aufgrund abstrakter Schadensberechnung weiterhin zulässig ist.

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Autorin

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