Schadensersatzansprüche bei Observation eines arbeitsunfähigen Arbeitnehmers?

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil (25.07.2024 - 8 AZR 225/23) eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf bestätigt, in welcher dieses einem Arbeitnehmer einen immateriellen Schadensersatz in Höhe von EUR 1.500,00 aufgrund einer durch seinen Arbeitgeber beauftragten Observation zugesprochen hatte. Dem hiesigen Verfahren gingen mehrere Klageverfahren zwischen den Parteien voraus, zuletzt verklagte der Kläger die Beklagte auf vertragsgemäße Beschäftigung. Zeitgleich mit Erhebung dieser Klage meldete sich der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krank.

Da die Beklagte vermutete, dass der Kläger diese Arbeitsunfähigkeit lediglich vortäuschte, ließ sie über mehrere Tage durch eine Detektei stichprobenartig überwachen. Der Observationsbericht dieser Detektei enthielt neben Feststellungen zu beobachteten Tätigkeiten des Klägers auch Dokumentation zu seinem Gangbild („zieht beim Gehen das linke Bein nach“). Nachdem der Kläger zu dem Vorwurf der Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit durch die Beklagte angehört und über die Observation informiert wurde, erhob er Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld für erlittenen immateriellen Schaden i.H.v. mindestens 25.000 €. Seine Klage begründete er damit, dass die Überwachung einen schwerwiegenden Eingriff in seine Privatsphäre darstelle, für welche es keinen hinreichenden Anlass gegeben habe. Sein Arbeitgeber habe mit der Observation eine Kündigung vorbereiten wollen. Der geforderte Schadenersatz belaufe sich auf ungefähr ein Zehntel der angestrebten Personalkosteneinsparung. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht sprach dem Kläger einen Schmerzensgeldanspruch i.H.v. von 1.500 € zu, welchen das Bundesarbeitsgericht in der vorgenannten Entscheidung bestätigte.

Vereinbarkeit mit Datenschutzrecht

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Verarbeitung von Gesundheitsdaten im Rahmen der Observation ohne Einwilligung des Klägers einen Verstoß gegen § 82 I Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der Beklagten darstellt, wenn diese nicht erforderlich gewesen ist. Angaben zu der gesundheitlichen Verfassung (wie beispielsweise das dokumentierte Gangbild) seien Gesundheitsdaten i.S.v. Art. 9 I i.V.m. Art. 4 Nr. 15 DSGVO und damit datenschutzrechtlich besonders geschützt. Das grundsätzliche Verbot der Verarbeitung von Gesundheitsdaten könne gem. Art. 9 Abs. 2 b) DSGVO jedoch entfallen, wenn die Verarbeitung erforderlich sei, damit der Verantwortliche die ihm „aus dem Arbeitsrecht […] erwachsenden Rechte“ ausüben könne. Die Verarbeitung der Gesundheitsdaten des Klägers sei in dem zu entscheidenden Fall jedoch gerade nicht erforderlich gewesen.

In der hier vorliegenden Konstellation einer durch den Arbeitgeber beauftragten Observation zur Überprüfung einer angezweifelten Arbeitsunfähigkeit könne die Verarbeitung von 

Gesundheitsdaten nur dann zulässig sein, wenn der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert und eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse gem. § 275 Abs. 1a S. 3 SGB V entweder unmöglich sei oder objektiv keine Klärung erwarten lassen würde.

Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen würden, sei die Ermittlung als Datenverarbeitung schlicht nicht erforderlich und damit (wie in dem zu entscheidenden Fall) nicht gerechtfertigt.

Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann erschüttert, wenn begründete Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Dafür muss der Arbeitgeber Umstände darlegen und beweisen, die an der Erkrankung des Arbeitnehmers Zweifel aufkommen lassen und in deren Folge der Bescheinigung des Arztes kein Beweiswert mehr zukommt. Entscheidend sind hierbei die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. In dem hiesigen Fall gelang es der Beklagten nicht, dieser Darlegungs- und Beweislast nachzukommen. Die Vorinstanz sah es für die Erschütterung des Beweiswertes gerade nicht als ausreichend an, dass der Kläger wiederholt nach Ausspruch der Änderungskündigung krankheitsbedingt fehlte oder das Arbeitsverhältnis grundsätzlich konfliktbelastet sei. Diese Würdigung beanstandete das Bundesarbeitsgericht nicht.

Immaterieller Schaden des Arbeitnehmers

Das Bundesarbeitsgericht stellte fest, dass der Kläger durch die rechtswidrige Observation einen immateriellen Schaden i.S.d. Art. 82. Abs. 1 DSGVO erlitten habe. Der Schaden liege hier in dem durch die Überwachung erlittenen Kontrollverlust und insbesondere im Verlust der Sicherheit vor Beobachtung im privaten Umfeld. Der auf Art. 82 Abs. 1 DSGVO gestützte Schadensersatzanspruch habe – insbesondere im Fall eines immateriellen Schadens – eine Ausgleichsfunktion und erfülle gerade keine Abschreckungs- oder Straffunktion. Die von der zweiten Instanz vorgenommene Begrenzung des Schadensersatzanspruchs auf 1.500 EUR rügte das Bundesarbeitsgericht nicht. Das Landesarbeitsgericht habe nachvollziehbar auf die Beobachtung und das Fotografieren des Klägers in seiner privaten Umgebung, die zeitliche Dimension und auf die Erhebung von Gesundheitsdaten abgestellt. Zugunsten der Beklagten habe es gewürdigt, dass der Detektivbericht nicht an Dritte weitergegeben wurde und der Kläger keine weiteren psychischen Belastungen dargelegt habe. Im Einklang mit seiner bisherigen Rechtsprechung stellte das Bundesarbeitsgericht zudem fest, dass der Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO keinen Bezug zum Arbeitsentgelt des Klägers habe. Auf die vom Kläger behaupteten Absichten der Beklagten zur Personalkosteneinsparung durch die beabsichtigte Kündigung kam es daher nicht an.

Praktische Auswirkungen

Das Bundesarbeitsgericht setzt mit diesem Urteil seine Rechtsprechungslinie zur Zulässigkeit von Observationen bei dem Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit fort. Eine heimliche Observation zur Überprüfung einer angezweifelten Arbeitsunfähigkeit ist 

danach weiterhin nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Vorsicht ist insbesondere dann geboten, wenn es um die Datenerhebung aus dem privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers und um dessen Gesundheitsdaten geht.

Zusätzliche Komplexität erfährt das Datenschutzrecht durch den Einfluss unionsrechtlicher Vorgaben. Nach diesen ist es unter anderem erforderlich, dass die Höhe des Schadensersatzes den durch den konkreten Verstoß erlittenen Schaden in vollem Umfang ausgleicht. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht den vom Landesarbeitsgericht ausgeurteilten Schadensersatzanspruch in Höhe von EUR 1.500,00 nicht beanstandet, jedoch wird sich im Einzelfall die wirtschaftliche Grenze des vollständigen Ausgleichs nur schwer bestimmen lassen. Arbeitgeber sollten daher weiterhin behutsam mit den personen- und gesundheitsbezogenen Daten der Arbeitnehmer umgehen. Zur Vermeidung langwieriger Verfahren und kostspieliger Schadensersatzansprüche sollte vor etwaigen Observationen von Arbeitnehmern zudem genau geprüft werden, ob deren Voraussetzungen vorliegen und wie diese mit möglichst geringer Intensität vorgenommen werden können.  

 

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