Schon ein Spitzenverdiener kann die Vermutung einer Ungleichbehandlung begründen

03. November 2025
Christian Althaus

Dass der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen hinkt, ist allgemein bekannt. Anders verhält es sich mit der Frage der für die Entgeltgleichheit heranzuziehenden Vergleichswerte. Mit seiner neuesten Entscheidung vom 23.10.2025 (Az.: 8 AZR 300/24) hat das Bundesarbeitsgericht nun mehr Klarheit in die Sache gebracht.

Im zugrunde liegenden Fall musste eine Arbeitnehmerin nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit feststellen, dass ihr Einkommen im Vergleich zu einem männlichen Kollegen deutlich niedriger war. Sie erhob Klage auf Zahlung der Entgeltdifferenz wegen Geschlechtsdiskriminierung mit dem Ziel, rückwirkend die finanzielle Gleichstellung mit ihren männlichen Kollegen zu erlangen. Das Besondere an dem Fall: Die Klägerin wählte als Vergleichsmaßstab einen Spitzenverdiener, dessen Gehalt ihr konkret bekannt war.

Zunächst zu Unrecht, wie die Vorinstanz annahm. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urt. v. 01.10.2024 – 2 Sa 14/24) argumentierte in seiner Berufungsentscheidung, dass die Entgeltdifferenz eines einzelnen Vergleichskollegen angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung begründe und damit auch kein Indiz im Sinne von § 22 AGG darstelle. Die Klägerin habe allenfalls einen Anspruch in Höhe der Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und dem der männlichen Vergleichsgruppe. § 11 Abs. 3 EntgTranspG vermittele einen Auskunftsanspruch auf das Medianentgelt, sodass dieses den gesetzlichen Anknüpfungspunkt darstelle.

Dies revidierte nun das Bundesarbeitsgericht, das nach seiner Auffassung eine Arbeitnehmerin durchaus an einem Spitzenverdiener messen lässt – und zwar selbst dann, wenn ihr Gehalt innerhalb der eigenen Vergleichsgruppe deutlich unterhalb des Medians liegt. Nach den Vorgaben des Unionsrechts bedürfe es bei einer Entgeltgleichheitsklage keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung. Für die vom Arbeitgeber zu widerlegende Vermutung einer geschlechtsbedingten Entgeltbenachteiligung reiche es aus, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlege und beweise, dass ein anderer Kollege, der gleiche oder gleichwertige Arbeit leiste, ein höheres Entgelt erhalte.

Nun liegt der Ball wieder beim verklagten Arbeitgeber. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren an das LAG Baden-Württemberg zurückverwiesen. Dieser soll prüfen, ob die Beklagte objektive sachliche Rechtfertigungsgründe für den Gehaltsunterschied darlegen kann, um die Vermutung einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung zu widerlegen. Gelingt es dem Arbeitsgeber, objektive Gründe für die Gehaltsdifferenzen nachzuweisen, könnte sich das Blatt noch zu seinen Gunsten wenden. Dennoch steht eines fest: Für die Begründung einer Entgeltbenachteiligung genügt bereits der Vergleich mit einem einzelnen Kollegen.

Was bedeutet das für die Praxis? Das Entgelttransparenzgesetz sieht lediglich einen Anspruch auf Auskunft über das Medianentgelt vergleichbarer Kollegen des anderen Geschlechts vor. Ein Auskunftsanspruch auf individuelle Gehälter besteht hingegen nicht. Der vorliegende Fall zeigt jedoch eindrücklich, dass unter Kollegen durchaus über Geld gesprochen wird, zumal entsprechende Geheimhaltungsklauseln in Arbeitsverträgen in der Regel unwirksam sind. Zeigen sich im Zuge dessen Gehaltsunterschiede auf derselben Hierarchiestufe, wird eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts rechtlich vermutet. Dies gilt auch dann, wenn eine solche Ungleichbehandlung durch den Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz nicht erkennbar ist und lediglich auf einer vergleichenden Betrachtung mit nur einem Arbeitskollegen anderen Geschlechts beruht. Das heißt aber nicht zwingend, dass Gehaltsunterschiede unzulässig sind. Es bedeutet vielmehr, dass sie objektiv gerechtfertigt sein müssen. Objektive Kriterien wie beispielswiese Berufserfahrung und Qualifikation dürfen sich durchaus im Gehalt niederschlagen. Ist dies der Fall, müssen die Entgeltstrukturen dies erkennen lassen und der Arbeitgeber muss die der Differenzierung zugrunde liegenden Gründe dokumentieren und im Streitfall beweisen. Arbeitgeber sind daher im Angesicht der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, aber auch der durch die Entgelttransparenzrichtlinie einhergehenden Gesetzesänderungen gut beraten, ihre Entgeltstrukturen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Eines besonderen Arguments bedürfen diesbezüglich Spitzenverdiener innerhalb der maßgeblichen Vergleichsgruppe.