Schon wieder der Tarifvorbehalt

An dieser Stelle hatten wir bereits zur Frage des Tarifvorbehaltes bei der Entgeltmitbestimmung des Betriebsrates berichtet. Nunmehr hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 15.05.2018 - 1 ABR 75/16 - erneut, allerdings in anderem Zusammenhang, mit dem Tarifvorbehalt und den Rechtsfolgen bei dessen Nichtbeachtung zu beschäftigen.

Sachverhalt der Entscheidung

Die Arbeitgeberin und der Betriebsrat hatten im Jahre 2006 eine Betriebsvereinbarung zum Thema Urlaub (Betriebsvereinbarung) geschlossen, die für alle Mitarbeiter des Unternehmens gelten sollte. Der Betrieb der Arbeitgeberin wurde vom fachlichen Geltungsbereich eines Manteltarifvertrages erfasst. Die Betriebsvereinbarung enthielt teilweise inhaltlich identische Urlaubsregelungen des Manteltarifvertrages. Der Manteltarifvertrag wurde zum Ende des Jahres 2011 gekündigt. Der tarifschließende Arbeitgeberverband erklärte sich im Jahre 2013 mittels Satzung für nicht tariffähig. Ab diesem Datum schloss die Arbeitgeberin mit neu eingestellten Mitarbeitern Arbeitsverträge ab, die unter anderem eine von der Betriebsvereinbarung abweichende Urlaubsdauer beinhalteten. Sie wandte die Betriebsvereinbarung ferner nur noch auf wenige (Alt)Mitarbeiter an. Dies wollte der Betriebsrat nicht akzeptieren. Die Betriebsvereinbarung sei wirksam und verstoße nicht gegen den Tarifvorbehalt, da nicht der gesamte Manteltarifvertrag in eine Betriebsvereinbarung umgewandelt worden sei. Jedenfalls stelle die Betriebsvereinbarung eine andere Abmachung dar, welche die Nachwirkung des gekündigten Manteltarifvertrages beende und durch die Regelungen der Betriebsvereinbarung ersetze. Bereits das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben der Arbeitgeberin Recht.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und hielt die Betriebsvereinbarung für unwirksam. Als Folge sei die Betriebsvereinbarung nicht auf die neu eingestellten Mitarbeiter anzuwenden. Es verstoße gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG, wenn die Betriebsvereinbarung Urlaubsregelungen enthalte, die mit einem räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich anwendbaren Manteltarifvertrag inhaltlich identisch sind. Dies gelte auch dann, wenn die Betriebsvereinbarung nicht den gesamten Manteltarifvertrag in die Betriebsvereinbarung kopiert.

Zwar finde der Tarifvorbehalt keine Anwendung, wenn der Tarifvertrag Regelungen enthalte, die ausweislich des Betriebsverfassungsgesetzes der zwingenden Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegen. Solche Regelungen enthalte die Betriebsvereinbarung allerdings nicht.

Nach Kündigung und Beendigung der Laufzeit des Manteltarifvertrages stelle die Betriebsvereinbarung auch keine diesen Tarifvertrag ablösende Regelung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG dar. Danach gelten die Vorschriften eines Tarifvertrages nach dessen Ablauf weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Sinn dieser Vorschrift ist es, die Regelungen des abgelaufenen Tarifvertrages so lange aufrecht zu erhalten, bis etwas anderes vereinbart wird. Auch dieser Auffassung des Betriebsrates erteilte das Bundesarbeitsgericht jedoch eine Absage. Die Betriebsvereinbarung diene bereits dem Wortlaut nach nicht dazu, eine Nachwirkung des Manteltarifvertrages zu beseitigen. Dies hatten weder die Arbeitgeberin noch der Betriebsrat bei Abschluss der Betriebsvereinbarung gewollt. Im Übrigen führe auch der Umstand, dass der sperrende Manteltarifvertrag nunmehr weggefallen sei, nicht dazu, dass die Betriebsvereinbarung nunmehr wirksam werde. Eine einmal gegen den Tarifvorbehalt verstoßene Betriebsvereinbarung bleibe unwirksam, es sei denn, dass die Tarifvertragsparteien etwas Gegenteiliges vereinbaren. Dies war jedoch nicht geschehen.

Hinweise für die Praxis

Eine wegen des Verstoßes gegen den Tarifvorbehalt unwirksame Betriebsvereinbarung bleibt auch dann unwirksam, wenn der sperrende Tarifvertrag beendet ist. Zwar gilt der Tarifvertrag nach. Diese Nachwirkung erfasst jedoch nicht mehr nach Beendigung des Tarifvertrages eingestellte Mitarbeiter. Mit dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts ist nunmehr auch entschieden, dass der Betriebsrat nicht durch die "Hintertür" mittels einer unwirksamen, gegen den Tarifvorbehalt verstoßenden Betriebsvereinbarung die Regelungen des Tarifvertrages für neu eingestellte Mitarbeiter aufrechterhalten kann. Dadurch wird auch die nicht selten geübte Praxis, in einer Betriebsvereinbarung Regelungen des Tarifvertrages "abzuschreiben", um diese damit auch auf nicht tarifgebundene Mitarbeiter oder solche ohne einen Arbeitsvertrag mit Inbezugnahmeklausel anzuwenden, Einhalt geboten.

Es gilt jedoch auch hier, die in Rede stehende Betriebsvereinbarung konkret dahingehend zu prüfen, ob diese den einschlägigen Tarifvertrag tatsächlich inhaltlich identisch wiedergibt. Darüber hinaus muss geschaut werden, ob in der Betriebsvereinbarung nicht doch Regelungen der zwingenden Mitbestimmung getroffen werden oder die Tarifvertragsparteien den Betriebsparteien einen Regelungsspielraum eröffnet haben.