SE-Umwandlung und Gewerkschaftssitze im Aufsichtsrat

Die Allianz hat es getan. Axel Springer auch. E.ON, BASF und viele andere Gesellschaften aller Größe und Couleur ebenso: Sie alle haben sich in eine Societas Europaea (SE) umgewandelt, eine Europäische Aktiengesellschaft. Auch SAP hat diesen Schritt gewagt, schon 2014. Und steht dafür nun vor Gericht. Wie kam es dazu?

I. Grundzüge Mitbestimmung in der SE

Rückblende: Über Jahrzehnte dominierte bei börsennotierten Unternehmen in Deutschland die Rechtsform der deutschen Aktiengesellschaft. Weit weniger verbreitet war (und ist) bei diesen Unternehmen die Kommanditgesellschaft auf Aktien als Rechtskleid. Frischen Wind brachte nach der Jahrtausendwende die EU: Sie schuf die Rechtsform der SE. Die Idee hinter der SE war, in der gesamten EU eine einheitliche Rechtsform für Unternehmen anbieten zu können. Unternehmen sollten mit dieser Rechtsform beispielsweise leichter grenzüberschreitend ihren Sitz verlegen können.

Die europäische Grundlage der SE bilden die SE-Verordnung sowie die SE-Richtlinie. Die SE-Verordnung enthält die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen der SE. Die SE-Richtlinie regelt unter anderem die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen der SE. Umgesetzt wurde die SE-Richtlinie in Deutschland im SE-Beteiligungsgesetz (SEBG). Nach der SE-Richtlinie ist in einer SE unter bestimmten Voraussetzungen ein Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren durchzuführen.

Im Rahmen des Verhandlungsverfahrens sollen die Vertreter der Arbeitnehmer sowie die Leitung(en) der an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaft(en) eine Beteiligungsvereinbarung abschließen. Inhaltlich haben die Parteien dabei grundsätzlich Gestaltungsfreiheit. Gelingt es den Parteien nicht, binnen einer bestimmten Frist zu einer Einigung zu kommen, greift unter bestimmten Voraussetzungen eine sogenannte gesetzliche Auffanglösung.

Die gesetzliche Auffanglösung bringt grundsätzlich das höchste Mitbestimmungsniveau zur Anwendung, das vor der Gründung der SE in den an der Gründung beteiligten Gesellschaften galt. Eine Besonderheit gilt aber im Fall der Umwandlung einer bestehenden Gesellschaft in eine SE: Hier bleiben die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, die vor der Umwandlung galten, grundsätzlich auch in der SE bestehen. Selbst in einer Beteiligungsvereinbarung können die Parteien davon grundsätzlich nicht abweichen. In den Worten des Gesetzes (§ 21 Abs. 6 SEBG) muss „im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll.

II. Der Fall SAP

Was hat all das nun mit SAP zu tun? Als SAP noch eine deutsche Aktiengesellschaft war, unterlag sie dem deutschen Mitbestimmungsgesetz. Das deutsche Mitbestimmungsgesetz sieht vor, dass der Aufsichtsrat einer mitbestimmten Gesellschaft zur Hälfte mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzt wird. Unter diesen Arbeitnehmervertretern müssen nach dem deutschen Mitbestimmungsgesetz einige Vertreter von Gewerkschaften sein. Ihre genaue Zahl bemisst sich nach der Größe des Aufsichtsrats, die wiederum von der Gesamtzahl der Arbeitnehmer abhängt. 

Als SAP sich im Jahr 2014 in eine SE umwandelte, schlossen die Vertreter der Arbeitnehmer und die Leitung der Gesellschaft eine Beteiligungsvereinbarung ab. Danach besteht der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern, bei dem ein Teil der auf die Arbeitnehmer entfallenden Sitze für von Gewerkschaften vorgeschlagene und von den Arbeitnehmern zu wählende Personen reserviert ist. Die Beteiligungsvereinbarung sieht allerdings vor, dass der Aufsichtsrat auf zwölf Sitze verkleinert werden kann. Wenn dies geschieht, können die Gewerkschaften zwar noch Wahlvorschläge für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer unterbreiten. Ein getrennter Wahlgang findet insoweit aber nicht statt.

Diese Regelung halten die davon betroffenen Gewerkschaften für rechtswidrig. Vor Gericht begehren sie, die Unwirksamkeit der Regelung in der Beteiligungsvereinbarung festzustellen, weil sie mit § 21 Abs. 6 SEBG unvereinbar sei: Nach der Umwandlung in eine SE müsse den Gewerkschaften weiterhin ein ausschließliches Vorschlagsrecht für eine bestimmte Anzahl von Sitzen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zustehen. In der ersten und der zweiten Instanz wurde das Begehren der Gewerkschaften abgewiesen. Das Verfahren befindet sich nun bei dem Bundesarbeitsgericht.

III. Die EuGH-Vorlage des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht wäre als letztinstanzliches Gericht zwar grundsätzlich zu einer abschließenden Entscheidung befugt. In dem Verfahren ist aber nicht allein die Auslegung des deutschen Rechts entscheidungserheblich, sondern auch die Auslegung der SE-Richtlinie. Weil die SE-Richtlinie die in dem Verfahren streitige Frage ebenfalls nicht eindeutig beantwortet, hat das Bundesarbeitsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist § 21 Abs. 6 des Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft, aus dem sich für den Fall der Gründung einer in Deutschland ansässigen SE durch Umwandlung ergibt, dass für einen bestimmten Teil der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer ein gesondertes Auswahlverfahren für von Gewerkschaften Vorgeschlagene zu gewährleisten ist, mit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 08.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer vereinbar?

Wie der Europäische Gerichtshof die Frage beantworten wird, lässt sich kaum vorhersagen. Gute Gründe sprechen dafür, dass die Beteiligungsvereinbarung von SAP mit dem EU-Recht vereinbar ist (s. hierzu ausführlicher Forst, Die Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG, 2010, S. 203 f. m.w.N.).

Wie auch immer der Europäische Gerichtshof entscheiden wird: Seine Entscheidung wird große Auswirkungen auf die Praxis der SE haben. Je nachdem, wie die Entscheidung ausgeht, kann die SE im Wettbewerb der Rechtsformen an Attraktivität gewinnen oder verlieren.

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