Tarifvorbehalt bei Entgeltmitbestimmung des Betriebsrates

Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat zwingend bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderungen, mitzubestimmen. Dieses Mitbestimmungsrecht scheidet gemäß § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG aus, wenn diesbezüglich gesetzliche oder tarifliche Regelungen bestehen (sog. Tarifvorbehalt). Die Frage, ob und inwieweit der Betriebsrat bei der Lohngestaltung mitzubestimmen hat, ist häufiger Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Für den Arbeitgeber hat diese Frage erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 20.02.2018 - 1 ABR 53/16 - den Tarifvorbehalt weiter ausgebaut und die Regelungskompetenz des Betriebsrates eingeschränkt.

Sachverhalt der Entscheidung

Die Arbeitgeberin betreibt ein Fachkrankenkhaus und schloss mit der zuständigen Gewerkschaft einen, auch die Vergütung regelnden Haustarifvertrag (HTV), welcher für alle Beschäftigten des Fachkrankenhauses gelten sollte. Mit Änderungstarifvertrag zum HTV (im Folgenden "ÄTV") erweiterten die Arbeitgeberin und die zuständige Gewerkschaft den Geltungsbereich des HTV, so dass alle im Bereich "Klinikum" beschäftigten Mitarbeiter erfasst werden sollten. Später erwarb die Arbeitgeberin im Wege des Betriebsüberganges nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB ein Allgemeinkrankenhaus von dem Veräußerer, in dem ein Betriebsrat bestand und wendete den ÄTV, insbesondere dessen Vergütungsregelungen, auf die Arbeitsverhältnisse der dortigen Mitarbeiter ohne Einbeziehung des Betriebsrates an. Der Betriebsrat beantragte beim zuständigen Arbeitsgericht die Unterlassung der Anwendung der Vergütungsgrundsätze des ÄTV und sah sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verletzt. Er vertrat die Auffassung, dass die ursprünglichen Vergütungsgrundsätze nicht abgelöst worden seien und der ÄTV im Allgemeinkrankenhaus nicht gelte.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht folgte der Rechtsauffassung des Betriebsrates nicht. Die Arbeitgeberin habe den ÄTV zu Recht ohne Beteiligung des Betriebsrates auf die Mitarbeiter des Allgemeinkrankenhauses angewandt. Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stelle die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergütungsordnung zugleich das im jeweiligen Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Mitarbeiter dar. Ein tarifgebundener Arbeitgeber müsse auch betriebsverfassungsrechtlich unter Beteiligung des Betriebsrates die tarifliche Vergütungsordnung ungeachtet der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Betrieb anwenden, soweit deren Gegenstände der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterliegen. Dieses Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates sei jedoch durch den Tarifvorbehalt des § 87 Abs. 1 Halbsatz 1 BetrVG ausgeschlossen, wenn eine gesetzliche oder tarifliche Regelung bestehe. Voraussetzung für den Tarifvorbehalt sei es, dass der Tarifvertrag die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit, vorliegend diejenige der Vergütung, zwingend und inhaltlich abschließend regele. Die Mitarbeiter seien dadurch ausreichend geschützt, sodass es einer Beteiligung des Betriebsrates nicht mehr bedürfe. Die Tarifgebundenheit des Arbeitgebers reiche für das Eingreifen des Tarifvorbehaltes bereits aus. Gemessen an diesen Maßstäben habe der ÄTV die ursprünglich im Allgemeinkrankenhaus geltenden Regelungen verdrängt, ohne dass es einer Mitbestimmung des Betriebsrates bedürfe. Aufgrund des Betriebsübergangs sei die erwerbende Arbeitgeberin zwar grundsätzlich zur Fortführung des Haustarifvertrages des Veräußerers verpflichtet. Wenn jedoch auch beim Erwerber ein Haustarifvertrag gelte, verdränge dieser betriebsverfassungsrechtlich die ursprünglichen haustarifvertraglichen Regelungen des Veräußerers. Eine Auslegung des ÄTV ergebe, dass sich diese auch auf das neu erworbene Allgemeinkrankenhaus erstrecke. Entgegen dem ursprünglichen HTV enthalte der ÄTV keine Beschränkung mehr auf das Fachkrankenhaus, sondern erstrecke seinen Anwendungsbereich auf das "Klinikum". Der Begriff "Klinikum" bezeichnet ein (Groß-) Krankenhaus, in dem mehrere Kliniken unter einheitlicher Leitung zusammengefasst seien, so dass dieser nicht nur für das Fachkrankenhaus, sondern auch für das Allgemeinkrankenhaus gelte, welcher Teil des Klinikverbundes sei.

Hinweise für die Praxis

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass sich ein Arbeitgeber, der bereits einen Haustarifvertrag mit der zuständigen Gewerkschaft ausgehandelt hat, nicht grundsätzlich noch einmal mit dem Betriebsrat über dessen Anwendung einigen müsse, sondern die mit der Gewerkschaft ausgehandelte Vergütungsordnung schlicht anwenden darf. Hiervon ausgenommen sind Tarifverträge, die gerade betriebliche Regelungen mit dem Betriebsrat vorsehen. Dies kann auch nach einem Betriebsübergang gelten, soweit der erworbene Betrieb vom Haustarifvertrag erfasst ist. Ob insoweit das zwingende Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG im Geltungsbereich eines Haustarifvertrages aufgrund des Tarifvorbehaltes gesperrt ist, muss dennoch in jedem Einzelfall durch Auslegung der einschlägigen tariflichen Normen geklärt werden.