Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Verfall von Urlaubsansprüchen (EuGH, 06.11.2018 – C-684/16) und der sich anschließenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (BAG, Urt. v. 19.02.2019 – 9 AZR 541/15) ist mittlerweile geklärt, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende eines Kalenderjahres bzw. des zulässigen Übertragungszeitraums gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) erlischt, wenn der Arbeitgeber ihn über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht in Anspruch genommen hat. Doch können sich Arbeitgeber im Hinblick auf Urlaubsansprüche ggf. auf die gesetzlichen Regelungen zur Verjährung gemäß §§ 194 ff. BGB berufen?
Rechtsprechung zum Verfall von Urlaub
§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG sieht vor, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers verfällt, wenn er nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres gewährt und genommen wird. Eine Übertragung bis März des Folgejahres ist nur dann vorgesehen, wenn die Erfüllung im Kalenderjahr aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen nicht möglich ist. Der Übertragungszeitraum kann darüber hinaus ggf. länger sein (bis zu 15 Monate), wenn der Arbeitnehmer langfristig arbeitsunfähig erkrankt ist.
Nach der ursprünglichen Rechtsprechung konnte der Urlaubsanspruch dementsprechend auch verfallen, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber rechtzeitig, aber erfolglos zur Urlaubsgewährung aufgefordert hatte. Dies ist nach den Vorgaben des EuGH und der entsprechenden unionsrechtskonformen Auslegung des BAG mittlerweile hinfällig. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer nunmehr für einen Verfall „konkret und in völliger Transparenz“ in die Lage versetzen, seinen bezahlten Jahresurlaub in Anspruch nehmen zu können. Insofern müssen Arbeitgeber insbesondere
• rechtzeitig auf den individuell noch bestehenden Urlaubsanspruch hinweisen,
• die Arbeitnehmer konkrete auffordern, den Urlaub noch im Bezugszeitraum in Anspruch zu nehmen und
• ihn über den sonstigen Verfall des Urlaubsanspruchs belehren.
Wird diese Mitwirkungsobliegenheit vom Arbeitgeber nicht gewahrt, scheidet grundsätzlich ein Verfall des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG aus.
Verjährung von Urlaubsansprüchen
Höchstrichterlich ungeklärt ist allerdings die Frage, ob der Arbeitgeber sich im Falle einer Verletzung seiner dargestellten Mitwirkungsobliegenheit möglicherweise dennoch auf die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach den Regelungen der §§ 194 ff. BGB berufen kann.
Unterschiedliche Auffassungen in der Instanzrechtsprechung
In der Instanzrechtsprechung werden diesbezüglich unterschiedliche Ansichten vertreten:
Das LAG Düsseldorf hat in einer älteren Entscheidung die Anwendbarkeit der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren ausdrücklich angenommen. Insbesondere beginne die Verjährungsfrist stets zum Schluss des jeweiligen Urlaubsjahres (LAG Düsseldorf, Urt. v. 18.08.2010 – 12 Sa 650/10).
Demgegenüber geht das LAG München vor dem Hintergrund eines möglichen Widerspruchs zum Verständnis des EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen davon aus, dass die Verjährungsfrist erst dann beginnen kann, wenn der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten gegenüber dem Arbeitnehmer erfüllt hat (LAG München, Urt. v. 03.09.2019 – 9 Sa 177/19). Demnach wäre eine Kumulation von Urlaubsansprüchen – auch über die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren hinaus – denkbar.
Was sagt der EuGH?
Das BAG hat die Frage einer möglichen Verjährung von Urlaubsansprüchen in einem aktuellen Verfahren – mangels Möglichkeit des Verfalls wegen verletzter Mitwirkungsobliegenheit durch den Arbeitgeber – als entscheidungserheblich angesehen und sie im Wege der Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt (BAG, Beschl. v. 29.09.2020 – 9 AZR 266/20). Konkret möchte das BAG wissen, ob es mit Art. 7 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB der Verjährung unterliegt.
Der EuGH wird sich insbesondere mit der Problematik auseinanderzusetzen haben, dass die konstruierte Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers wesentlich entkräftet würde, wenn der Arbeitgeber die Erfüllung des gesetzlichen Mindesturlaubs zumindest nach Ablauf von drei Jahren ab Beendigung des Urlaubsjahres unabhängig von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG rechtmäßig verweigern dürfte. Aufgrund der erheblichen Praxisrelevanz darf die Entscheidung des EuGH mit Spannung erwartet werden.
Hinweise für die Praxis
Arbeitgeber sind vor dem Hintergrund der Vorgaben des EuGH ohnehin gehalten, selber „aktiv“ zu werden, soweit sie sich auf den Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs berufen möchten. Hieran wird die anstehende Entscheidung des EuGH zu einer möglichen Verjährung nichts ändern. Dementsprechend ist weiterhin dringend zu empfehlen, die verbleibenden Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer jährlich zu prüfen und nachweisbare individualisierte Belehrungen zu etablieren.
Sollte der EuGH die Frage der Verjährung des Urlaubsanspruchs jedoch bejahen, würde dies die überaus arbeitnehmerfreundliche Urlaubsrechtsprechung des EuGH erfreulicherweise wieder ein wenig zugunsten der Arbeitgeber korrigieren. Das Risiko kumulierter Urlaubsansprüche würde sich dann lediglich auf die regelmäßige Verjährungsfrist beschränken, was interessengerecht und somit ausdrücklich zu begrüßen wäre.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass es den Arbeitsvertragsparteien freisteht, für einen über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden vertraglichen Urlaubsanspruch abweichende Regelungen zum Verfall vorzusehen. Insbesondere bei Neueinstellungen sollten Arbeitgeber auf eine entsprechend differenzierte arbeitsvertragliche Ausgestaltung im Hinblick auf den vertraglichen Urlaubsanspruch achten.