Verbessertes Hinweisgebersystem der Europäischen Kommission für Kartellverstöße

Seit 16. März 2017 bietet die Europäische Kommission ein verbessertes Hinweisgebersystem für Kartellverstöße an. Das neue Whistleblower Tool ermöglicht durch Zwischenschaltung eines externen Dienstleisters nunmehr eine wechselseitige, aber weiterhin anonyme Kommunikation zwischen Kommission und Hinweisgeber. Parallel zur Einführung des neuen Tools hat die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zum generellen effektiven Schutz von Whistleblowern eingeleitet.

HINTERGRUND

Die Kartellverfolgung steht nach wie vor im Fokus der Wettbewerbsbehörden, auch der Europäischen Kommission. Da Kartelle jedoch meist im Verborgenen operieren, sind die Kartellbehörden für eine effektive Verfolgung neben Kronzeugen in besonderem Maße auf Hinweise von kartellunbeteiligten Wettbewerbern, Geschäftspartnern und Mitarbeitern kartellbeteiligter Unternehmen angewiesen. Potenzielle Whistleblower schrecken aber häufig schon generell davor zurück, Hinweise auf Kartellrechtsverstöße einer Kartellbehörde zu melden, wenn sie hierbei ihre Identität preisgeben müssen. Während Geschäftspartner vermeintlicher Kartellanten bei Bekanntwerden ihres Hinweises die Gefahr der Beendigung der Geschäftsbeziehung sehen, befürchten Mitarbeiter kartellbeteiligter Unternehmen, die deshalb häufig mögliche Verstöße gegen das Kartellrecht noch nicht einmal ihren eigenen Vorgesetzten melden, Repressalien am Arbeitsplatz oder andere persönliche Nachteile.

Vor diesem Hintergrund nimmt auch die Europäische Kommission bereits seit geraumer Zeit anonyme Hinweise auf mögliche Kartellrechtsverstöße per Telefon oder E-Mail entgegen. Da der Whistleblower seine Identität jedoch im Zweifelsfall nicht preisgibt, war die Europäische Kommission bisher regelmäßig daran gehindert, weitere Informationen einzuholen oder Rückfragen zu stellen, um die notwendigen Voraussetzungen für Durchsuchungen und die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens zu schaffen.

VERBESSERTES HINWEISGEBERSYSTEM DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION

Zur Vermeidung dieser Nachteile hat die Kommission für die Kommunikation seit kurzem einen externen Dienstleister zwischengeschaltet. Der potenzielle Hinweisgeber kann sich nunmehr über eine über die Homepage der Kommissionerreichbare Oberfläche auf elektronischem Wege an die Kommission wenden, ohne dass über seine E-Mail-Adresse, IP-Adresse o.Ä. seine Identität der Kommission bekannt wird. Die Kommission hat ihrerseits die Möglichkeit, über das Tool Kontakt mit dem Hinweisgeber aufzunehmen, der diese Nachrichten anonym einsehen und beantworten kann. Dieses neue Tool steht neben der weiterhin verfügbaren Möglichkeit, eine „anonyme“ E-Mail an die offizielle E-Mail-Adresse der Kommission zu richten, die diese für Hinweise auf mögliche Kartellverstöße eingerichtet hat.

Die Europäische Kommission folgt damit dem Vorbild einer Reihe nationaler Wettbewerbsbehörden, u.a. dem Bundeskartellamt, welches bereits seit 1. Juni 2012 ein elektronisches Hinweisgebersystem eingerichtet hat, das über einen externen Dienstleister eine geschützte Kommunikation ermöglicht. Jedenfalls aus Sicht des Bundeskartellamts ist dieses System erfolgreich: In seiner Broschüre „Erfolgreiche Kartellverfolgung“ Stand Dezember 2016 berichtet es, dass im Zeitraum von Juni 2012 bis Dezember 2016 bei 55.582 Zugriffen auf die Startseite des Hinweisgebersystems insgesamt 1.420 Hinweise eingegangen seien, von denen „einige zur Einleitung von (Bußgeld-)Verfahren geführt haben.“ Es bleibt abzuwarten, wie nützlich das erweiterte Whistleblower Tool für die Kommission ist.

ÖFFENTLICHE KONSULTATION DER EUROPÄISCHEN KOMMISSION ZUM SCHUTZ VON HINWEISGEBERN

Parallel zur Einführung des erweiterten Hinweisgebersystems veranstaltet die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zum effektiven Schutz von Whistleblowern. Diese geht deutlich über das Kartellrecht hinaus und erstreckt sich auf Themenbereiche wie das Vermögensstrafrecht, Steuerhinterziehung, Lebensmittelsicherheit, Gefahrenabwehr und Datenschutz. Nach eigenen Worten will die Europäische Kommission damit „zur Stärkung des Schutzes von Hinweisgebern … unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips den Handlungsspielraum für horizontale oder weitergehende sektorale Maßnahmen auf EU-Ebene ausloten.“ Interessierte Kreise haben noch bis zum 29. Mai Gelegenheit, Stellungnahmen einzureichen.

In dieser Hinsicht scheint die Europäische Kommission eine konsequentere Linie als Deutschland verfolgen zu wollen. In Deutschland fehlt es nach wie vor an einer allgemeinen gesetzlichen Regelung zum Schutz von Hinweisgebern – Außnahmen gibt es nur für Korruptionsstraftaten (s. § 67 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Bundesbeamtengesetz und § 37 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Beamtenstatusgesetz). Entsprechende Gesetzesinitiativen, zuletzt in 2012, sind am Widerstand der Koalition gescheitert, die auf bereits vorhandene, insbesondere arbeitsrechtliche Regelungen verweist. Ob die Initiative der Europäische Kommission in konkrete gesetzgeberische Maßnahmen mündet, bleibt abzuwarten. Mittels einer Richtlinie ließe sich ein EU-weit einheitliches Mindest-Schutzniveau erreichen.

EMPFEHLENSWERTE MASSNAHME FÜR UNTERNEHME

Für Unternehmen ergibt sich die Notwendigkeit, auf die zunehmende Professionalisierung von Hinweisgebersystemen auf Behördenseite zu reagieren, wollen sie verhindern, dass etwaige Rechtsverstöße im eigenen Unternehmen den zuständigen Behörden gemeldet werden, bevor eine unternehmensinterne Aufklärung der Verdachtsmomente oder tatsächlichen Verstöße erfolgt ist. Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat dieser Entwicklung bereits durch die neueste, am 7. Februar 2017 beschlossene Kodexänderung Rechnung getragen, wonach „Beschäftigten … auf geeignete Weise die Möglichkeit eingeräumt werde [soll], geschützt Hinweise auf Rechtsverstöße im Unternehmen zu geben; auch Dritten sollte diese Möglichkeit eingeräumt werden.“ Auch für nicht börsennotierte Unternehmen ist es jedoch empfehlenswert, die Einrichtung eigener (anonymer) Hinweisgebersysteme zumindest ernsthaft in Erwägung zu ziehen, zur Vermeidung der beschriebenen Nachteile im Zweifelsfall unter Einschaltung einer externen Rechtsanwaltskanzlei als Ombudsmann und externem Dienstleister in einer Person. Nähere Informationen hierzu finden Sie in meinem Blogbeitrag vom 09.11.2016.

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