Verfassungsbeschwerden im Rahmen des „Diesel-Skandals“ erfolglos

In gleich drei Entscheidungen (2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, 2 BvR 1562/17, 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17) entschied das Bundesverfassungsgericht über Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Beschlagnahme von Unterlagen im Zuge des "Diesel-Skandals" richten. Gegenstand der Verfahren war die Durchsuchung des Münchener Büros der internationalen Rechtsanwaltskanzlei Jones Day durch die Staatsanwaltschaft, bei der Unterlagen der internen Ermittlungen sichergestellt wurden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfen diese nun ausgewertet werden.

Sachverhalt

Im Rahmen der Ermittlungsverfahren im sog. "Diesel-Skandal" beauftragte der Autohersteller eine Rechtsanwaltskanzlei mit der rechtlichen Beratung und der Vertretung gegenüber den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden. Dafür führten die Rechtsanwälte sog. interne Untersuchungen durch, bei denen Volkswagen-interne Dokumente analysiert und konzernweite Mitarbeiterbefragungen durchgeführt wurden.

Die Staatsanwaltschaft München II ermittelte in mehreren Verfahren gegen unterschiedliche Beteiligte, u.a. im Zusammenhang mit 3,0L Diesel Motoren der Audi AG wegen des Verdachts des Betruges und strafbarer Werbung und leitete ein Bußgeldverfahren gem. § 30 OWiG gegen die Audi AG ein.

Im Zuge dieser Ermittlungen wurden die Geschäftsräume der Rechtsanwaltskanzlei in München durchsucht und zahlreiche Aktenordner sowie elektronisches Datenmaterial sichergestellt. Hiergegen gingen der Autohersteller und die Rechtsanwaltskanzlei vor dem Amtsgericht München und dem Landgericht München I vor, unterlagen jedoch. Daraufhin legten Volkswagen, die Rechtsanwaltskanzlei und deren Anwälte gegen die Entscheidungen Verfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht ein. Während dieser Verfahren durften die Dokumente aufgrund einer Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausgewertet werden.

Die Entscheidung

Entgegen der Entscheidung im Eilrechtsschutz unterlag der Autohersteller und die Rechtsanwaltskanzlei nun in der Hauptsache: Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an. Nach der Entscheidung wurde der Autokonzern weder in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, noch in dem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Die internationale Rechtsanwaltskanzlei sei selbst keine Trägerin von Grundrechten und deshalb nicht zur Verfassungsbeschwerde berechtigt. Eine Verletzung der Rechtsanwälte in eigenen Rechten sei daneben nicht ersichtlich.

Verfassungsbeschwerde der Volkswagen AG

Im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde des Autoherstellers entschied das Gericht, dass die Volkswagen AG durch die Sicherstellung der Dokumente weder in dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch in dem Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde. Dabei sah das Bundesverfassungsgericht zwar einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, dieser sei jedoch durch die strafprozessualen Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft gerechtfertigt.

Das Gericht hatte auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, obwohl die Sicherstellung bei einem Rechtsanwalt erfolgte. Rechtsanwälten kommt aufgrund der besonderen Stellung als unabhängige Organe der Rechtspflege eine Sonderstellung zu, nach der sie mit umfassenden Zeugnisverweigerungsrechten zur Geheimhaltung berechtigt und verpflichtet sind. Gleichwohl hatte das Gericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Beschlagnahmeverbote von den Fachgerichten verneint wurden. Ein absolutes Beweiserhebungs- und -verwendungsverbot ergebe sich nur in Ausnahmefällen, da ansonsten die Effektivität der Strafverfolgung in erheblichem Maße beeinträchtigt werde. Einen solchen Fall, beispielsweise durch Verletzung der Menschenwürde, nahm das Gericht nicht an.

Auch stehe das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten der Entscheidung nicht entgegen. Es werde durch die konkrete Beschlagnahmehandlung nicht beeinträchtigt, da § 97 StPO nur für das konkrete Verhältnis zwischen Beschuldigtem und Berufsgeheimnisträger gilt. Das Gericht lehnte es jedoch ab, den Autohersteller als Beschuldigten in diesem Sinne zu bewerten, da sich ein Unternehmen bei internen Untersuchungen nicht in einer beschuldigtenähnlichen Verfahrensstellung befände. Der Beschlagnahmeschutz sei auch nicht über das Mandatsverhältnis hinaus zu erstrecken, da Beweismittel ansonsten gezielt bei einem Rechtsanwalt platziert und somit dem Zugriff der Behörden entzogen werden könnten. Hierdurch könnte ein "'Safehouse' für Spuren noch nicht entdeckter Straftaten" (BVerfG, Az. 2 BvR 1405/17, Rn. 91) entstehen.

Das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG wurde aus Sicht des Gerichts darüber hinaus schon deshalb nicht verletzt, da der Schutz nicht weiter reiche, als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Verfassungsbeschwerde der internationalen Rechtsanwaltskanzlei und ihrer Rechtsanwälte

Die Verfassungsbeschwerde der internationalen Rechtsanwaltskanzlei war bereits unzulässig, da sie keine Trägerin von Grundrechten ist. Dies ergibt sich daraus, dass sie als Partnership nach dem Recht des US-Bundesstaats Ohio organisiert und daher keine inländische juristische Person im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG ist. Das Gericht ging dabei davon aus, dass sich die Hauptverwaltung der Rechtsanwaltskanzlei aufgrund der internationalen Organisation und Ausrichtung nicht in Deutschland oder der Europäischen Union befindet. Auch die Durchsuchung des inländischen Büros in München sei nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend, um die internationale Rechtsanwaltskanzlei wie eine inländische juristische Person zu behandeln und unter den Schutz der Grundrechte zu stellen.

Darüber hinaus blieb auch die Verfassungsbeschwerde der einzelnen Rechtsanwälte erfolglos. Das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass die einzelnen Rechtsanwälte durch die Durchsuchungsanordnung oder die Bestätigung der Sicherstellung in eigenen Grundrechten verletzt wurden.

Ausblick

Die tatsächlichen Auswirkungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf die anwaltliche Praxis bleiben abzuwarten. Das legal privilege besteht auch nach den Entscheidungen unangetastet weiter. Mit den Entscheidungen wird nur verhindert, dass Rechtsanwälte als Zufluchtshafen genutzt werden, an dem Beweismittel sicher deponiert und dem Zugriff der Behörden entzogen werden.

Die Entscheidungen zeigen darüber hinaus, dass nunmehr der Gesetzgeber gefragt ist, die Rechtslage bei internen Ermittlungen neu zu regeln. In diesem Kontext stehen wichtige Neuerungen durch die beabsichtigte Einführung eines Unternehmensstraf- bzw. -sanktionsrechts an sowie die gesetzgeberischen Vorhaben zur Regelung interner Untersuchungen und der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Schutz von Whistleblowern.

Die Erwartungen an den Gesetzgeber sind dabei zurecht hoch. Ohne einen umfassenden Schutz der Ergebnisse interner Ermittlungen kann es hinterfragt werden, ob Unternehmen ausreichend Anreize haben, um proaktiv unternehmensinterne Verstöße aufzudecken und einen Selbstreinigungsprozess durchzuführen.

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