Vergesellschaftung von Großunternehmen

Nach der Berliner Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen - Spekulation bekämpfen", die schon seit Ende des letzten Jahres die Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen privater Wohnungsunternehmen anstrebt, hat auch der Juso-Vorsitzende Kühnert mit einem Interview in der ZEIT die Kollektivierung von Großunternehmen zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion gemacht. Der folgende Beitrag möchte die Forderungen vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Artikel 15 Grundgesetz überblicksartig einordnen.

Forderungen der Akteure

Die Bürgerinitiative fordert, ein Sozialisierungsgesetz auf den Weg zu bringen, nach welchem Wohnungen privater Wohnungsunternehmen mit einem Bestand von mindestens 3000 Wohnungen in Gemeinschaftseigentum überführt werden. Hinter dieser Forderung steht das Ziel, Wohnungsknappheit zu bekämpfen und bezahlbare Mieten sicherzustellen. Herr Kühnert fordert insbesondere die Kollektivierung von Großunternehmen wie etwa BMW. Entscheidend sei eine demokratische Verteilung der Profite. Unklar bleibt allerdings, welcher Gemeinwohlzweck in concreto befriedigt werden soll.

Verfassungsrechtlicher Hintergrund: Art. 15 GG

Die Forderungen könnten sich verfassungsrechtlich theoretisch über das Instrument der Sozialisierung gem. Art. 15 GG erreichen lassen, auch wenn hiervon bislang noch nie Gebrauch gemacht worden ist - trotz des mittlerweile 70-jährigen Bestehens des Grundgesetzes in diesem Monat. Nach Art. 15 S. 1 GG können Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.

Die Sozialisierung gem. Art. 15 GG ist ein gegenüber der Enteignung gem. Art. 14 Abs. 3 GG eigenständiges Rechtsinstitut. Während mit der Enteignung bestimmte Vermögensgegenstände zur Erfüllung eines bestimmten Gemeinwohlzwecks projektbezogen (etwa beim Bau einer Straße oder einer Stromtrasse) zwangsweise entzogen werden steht hinter der Sozialisierung das Interesse, die marktwirtschaftliche Eigentumsordnung derart umzugestalten, dass nicht nur bestimmte Vermögensobjekte, sondern ganze Unternehmen in Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Es ist deshalb nicht richtig, in den vorliegenden Szenarien von Enteignung zu sprechen, auch wenn häufig Gegenteiliges zu lesen ist.

Tatbestandsvoraussetzungen der Sozialisierung

Zunächst müsste ein sozialisierungsfähiges Gut vorliegen. Im Falle der Bürgerinitiative stellen die Wohnungsbestände ein solches dar, weil der Begriff "Grund und Boden" Grundstücke samt deren Bestandteile erfasst, zu denen auch Gebäude gehören. Im Falle Kühnerts können die "Produktionsmittel" von BMW, insbesondere Betriebsanlagen, Maschinen und Patente, Gegenstand der Sozialisierung sein. Bei nicht im engeren Sinne "produzierenden" Unternehmen wie Banken oder Versicherungen ist die Sozialisierungsfähigkeit allerdings umstritten.

Diese Güter müssten sodann in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Entscheidend ist hierbei, dass das jeweilige Eigentumsobjekt nicht mehr der privatwirtschaftlichen Gewinnerzielung des Einzelnen dient, sondern mit ihm ein gesellschaftlicher Bedarf oder sonstige Gemeinwohlzwecke befriedigt werden. Für die Bürgerinitiative stehen hier die Bekämpfung von Wohnungsnot bzw. die Gewährleistung bezahlbarer Mieten im Vordergrund. Hinsichtlich der Forderung Kühnerts bleibt der konkret mit der Sozialisierung zu verfolgende Gemeinwohlzweck im Dunkeln. Ein pauschales Begehren nach Sozialismus als wirtschaftspolitischer Staatsform ist in diesem Zusammenhang schon deshalb kein zulässiger Gemeinwohlzweck, weil das Grundgesetz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wirtschaftspolitisch neutral ist.

Einschränkend ist auch bei der Sozialisierung das Übermaßverbot zu beachten. Die Sozialisierung müsste also einen legitimen Zweck verfolgen und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet sowie erforderlich sein. Zudem müsste es angemessen im engeren Sinne sein. Im Falle der Bürgerinitiative steht schon die Geeignetheit der Sozialisierung in Frage, da allein durch sie keine neuen Wohnungen geschaffen werden. In Anbetracht der Möglichkeit des Berliner Gesetzgebers, selbst tätig zu werden, den Bau von Sozialwohnungen auszuweiten oder gesetzliche Initiativen auf den Feldern von Baugenehmigungsverfahren, Wohngeldprogrammen oder des Mietpreisrechts zu ergreifen, kann auch die Erforderlichkeit der Sozialisierung in Zweifel gezogen werden (vgl. Schede/Schuldt, Vergesellschaftung von Grund und Boden, ZRP 2019, 78, 80). Schließlich wird auch die Hürde der Angemessenheit im engeren Sinne im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht kaum zu überwinden sein. Im Falle Kühnerts hinge die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Sozialisierungsmaßnahme von dem konkret zu verfolgenden Gemeinwohlzweck ab. Im Rahmen der Angemessenheit im engeren Sinne wären in jedem Fall Art. 12 GG und Art. 14 GG als Grundrechte von besonderem Rang zugunsten der betroffenen Unternehmen in die Abwägung einzustellen.

Fazit

Es spricht einiges dafür, dass ein durch die Berliner Bürgerinitiative angestoßenes Sozialisierungsgesetz verfassungswidrig wäre. Auch die Sozialisierung von Großunternehmen wie BMW würde - auch unter Verfolgung eines bestimmten Gemeinwohlzwecks - vor verfassungsrechtlich nur schwer zu überwindenden Hürden stehen. Im letzteren Falle wäre zudem stets zu befürchten, dass andere Unternehmen aus Angst vor einem ähnlichen Schicksal aus Deutschland abwandern, ihr Kapital abziehen und so der Volkswirtschaft schaden. Vieles spricht deshalb dafür, dass die Sozialisierung weiter nur als "Drohkulisse in der politischen Auseinandersetzung" (vgl. hierzu Ipsen, Sozialisierung und Übermaßverbot, NVwZ 2019, S. 527, 529) zum Einsatz kommt.