Planfeststellungsverfahren für komplexe Infrastrukturvorhaben (z. B. Stromtrassen, Pipelines, Schienen- und Straßenwege) sind langwierig und fehleranfällig. Liegt der Planfeststellungsbeschluss endlich vor, muss gerade bei umstrittenen Projekten mit Klagen gerechnet werden. Dabei zeigt die Planungspraxis, dass Kläger (insbesondere anerkannte Umweltvereinigungen) ihr Rechtsschutzbegehren nicht selten auch dann weiterverfolgen, wenn eine Planung vom Vorhabenträger infolge eines gerichtlich festgestellten Fehlers umfassend überarbeitet und sodann nach einer Überprüfung durch behördlichen Änderungs-/Planergänzungsbeschluss genehmigt wurde. In dieser Konstellation droht eine Verzögerung in der Projektrealisierung. Aus Sicht der Planfeststellungsbehörde kann sich daher die Frage stellen, ob sie zwecks Projektbeschleunigung durch die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Änderungs-/Planfeststellungsbeschlusses dem Vorhabenträger auch dann einstweiliges Baurecht gewähren darf, wenn zuvor das von einem Kläger angerufene Verwaltungsgericht den (Ausgangs-) Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt hat. Auf diese Fragestellung gibt der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangene Beschluss des 3. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.03.2020 (3 VR 1.19) Antworten.
Sachverhalt (gekürzt und vereinfacht)
Gegenstand der Eilentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts war der von einer anerkannten Umweltvereinigung beklagte Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 14.07.2016 in der Fassung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 11.10.2019 für das Vorhaben „Stuttgart 21“ im Streckenabschnitt Südumgehung Plieningen. Der ursprüngliche Planfeststellungsbeschluss vom 14.07.2016 war vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim durch Urteil vom 4.12.2018 (VGH 5 S 2138/16) teilweise für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt worden. Aufgrund des erkannten Fehlers stellte der Verwaltungsgerichtshof zudem in einer separaten Eilentscheidung vom 13.12.2018 (VGH 5 S 2924/18) die aufschiebende Wirkung der Klage der Umweltvereinigung wieder her. Hinsichtlich der klägerischerseits im Übrigen geltend gemachten Verfahrensfehler und materiellen Mängel wies der Verwaltungsgerichtshof die Klage ab. Hiergegen legte die Umweltvereinigung Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein (Az. 3 C 2.19 u.a.).
Zur Behebung der gerichtlich festgestellten Mängel der Planung führte das Eisenbahn-Bundesamt ein Fehlerheilungsverfahren durch, das während des laufenden Revisionsverfahrens durch behördlichen Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 11.10.2019 abgeschlossen wurde. Für diesen ordnete die Behörde zudem die sofortige Vollziehbarkeit an, um dem Vorhabenträger einstweilig Baurecht für das im öffentlichen Interesse stehende Vorhaben zu gewähren. Hiergegen wandte sich die klagende Umweltvereinigung und bezog den behördlichen Änderungsplanfeststellungsbeschluss in das bereits beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Revisionsverfahren (Az. 3 C 2.19) ein. In einem zusätzlich eingeleiteten vorläufigen Rechtsschutzverfahren, von welchem der vorliegende Beitrag handelt, machte die Umweltvereinigung u.a. geltend, dass die vom Verwaltungsgerichtshof durch gerichtlichen Beschluss vom 13.12.2018 wiederhergestellte aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage nur gerichtlich, nicht aber von der Planfeststellungsbehörde im Fehlerheilungsverfahren beseitigt werden dürfe.
Entscheidung
Das Bundesverwaltungsgericht lehnte das vorläufige Rechtsschutzersuchen der Umweltvereinigung ab. In seiner Begründung stellte das Gericht zunächst klar, dass nach neuerer Rechtsprechung das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 142 Abs. 1 Satz 1 VwGO) die Klägerin nicht daran hindert, einen während eines Revisionsverfahrens nach Maßgabe von § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG zur Fehlerheilung ergangenen Änderungsplanfeststellungsbeschluss in eine beim Revisionsgericht anhängige Klage gegen den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss einzubeziehen. Zudem entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass Planfeststellungsbehörden die sofortige Vollziehung eines im ergänzenden Verfahren geänderten Planfeststellungsbeschlusses gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO grundsätzlich auch dann anordnen dürfen, wenn zuvor ein Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss in dessen ursprünglicher Fassung wiederhergestellt hat. Es sei Planfeststellungsbehörden nicht verwehrt, bei Änderungsplanfeststellungsbeschlüssen eine eigene neue Entscheidung über deren Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zu treffen. Voraussetzung hierfür sei, dass die Behörde den bzw. die gerichtlich festgestellten Fehler der Planung durch Abänderung des Planfeststellungsbeschlusses in einem für seine Rechtmäßigkeit erheblichen Aspekt behebt. Unter dieser Prämisse bestehe kein Vorrang des gerichtlichen Abänderungsverfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO.
Bedeutung für die Praxis
Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.03.2020 klärt die Reichweite gerichtlicher Eilentscheidungen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen Planfeststellungsbeschlüsse und stärkt insoweit die Rolle von Planfeststellungsbehörden in Fehlerheilungsverfahren. Ein „Freifahrtschein“ für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist die Entscheidung indes nicht. Vielmehr bedarf es stets einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall, ob und inwieweit eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO Bindungswirkung für die behördliche Entscheidung über die sofortige Vollziehbarkeit eines Änderungsplanfeststellungsbeschlusses entfaltet.