Wahlversprechen von Martin Schulz: Kommt die Musterfeststellungsklage schneller als gedacht?

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat am 18.09.2017 in einer ARD-Sendung zur bevorstehenden Bundestagswahl angekündigt, im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler binnen der ersten 100 Regierungstage ein Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage auf den Weg zu bringen.

Er greift damit eine schon länger im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) grassierende Idee auf, Verbraucherverbänden das Recht einzuräumen, mittels einer sog. Musterfeststellungsklage Umstände gerichtlich feststellen zu lassen, die für eine Vielzahl von Verbrauchern im Rahmen eines Rechtstreits bedeutsam sind. Im Dezember 2016 hatte Justizminister Maas einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt. Zuletzt wurde Ende Juli 2017 ein aktueller Diskussionsentwurf des Gesetzes veröffentlicht.

ZIELSETZUNG DES GESETZES

Hintergrund des Gesetzesentwurfs ist laut BMJV, dass im heutigen Wirtschaftsleben bei standardisierten Massengeschäften zwar häufig eine Vielzahl von Verbrauchern geschädigt wird, der den einzelnen Verbrauchern erlittene Schaden aber gering ist, so dass Schadensersatz- oder andere Ansprüche oftmals nicht individuell geltend gemacht werden.

WESENTLICHER INHALT

Der Gesetzentwurf lehnt sich inhaltlich deutlich an das Unterlassungsklagegesetz (UKlaG) sowie das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) an. Allerdings soll die Musterfeststellungsklage direkt in der ZPO verortet werden.

Klagebefugt sollen laut § 607 des Diskussionsentwurfs nur qualifizierte Einrichtungen nach § 4 UklaG sein. Anders als beim KapMuG ist mithin die Möglichkeit der Klage durch eine Privatperson nicht vorgesehen.

Inhaltlich können mit der Musterfeststellungsklage das Vorliegen oder Nichtvorliegen zentraler anspruchsbegründender bzw. anspruchsausschließender Voraussetzungen festgestellt oder zentrale Rechtsfragen gerichtlich geklärt werden (sogenannte Feststellungsziele). Der Diskussionsentwurf sieht zudem vor, dass glaubhaft gemacht wird, dass von den Feststellungszielen Ansprüche oder Rechtsverhältnisse einer bestimmten Anzahl von Verbrauchern abhängen. Der Diskussionsentwurf sieht hierfür eine Anzahl von 10, 50 oder 100 Verbrauchern vor.

Das Musterfeststellungsurteil entfaltet Bindungswirkung für Folgeprozesse einer begünstigen Person, so diese sich darauf beruft. Das bedeutet, dass ein später über die Leistungsklage des Verbrauchers entscheidendes Gericht an die Feststellungen aus dem Musterfeststellungsverfahren gebunden ist. Im Rahmen der Musterfeststellungsklage wird nur über die Feststellungsziele und nicht über individuelle Streitfragen entschieden.

Von besonderer Bedeutung ist die Einrichtung eines beim BMJV zu führenden Prozessregisters. In diesem werden die Musterfeststellungsverfahren veröffentlicht. Betroffene können ihre Ansprüche und Rechtsverhältnisse dort anmelden. Die Anmeldung hat verjährungshemmende Wirkung. Die Anmelder werden jedoch nicht zur Prozesspartei; sie können im Musterfeststellungsverfahren als Zeugen auftreten.

Breiten Raum räumt der Diskussionsentwurf in § 612 dem Vergleichsschluss ein. Der Vergleichsschluss bedarf der Genehmigung des Gerichts. Die Genehmigung ist davon abhängig, ob das Gericht den Vergleich unter Berücksichtigung der bisherigen Sach- und Rechtslage als angemessene gütliche Beilegung der Angelegenheit betrachtet. Die Anmelder können binnen eines Monats den Austritt aus dem Vergleich erklären – schließlich haben sie an ihm auch nicht aktiv als Partei mitgewirkt. Der Austritt hat jedoch keine Auswirkung auf die Anmeldung. Treten mehr als 30 Prozent der Anmelder aus dem Vergleich aus, wird dieser nicht wirksam.

AUSBLICK

Bedenkt man, dass sich schon das KapMuG in der Vergangenheit nicht gerade als Erfolgsmodell erwiesen hat (man denke nur an das Verfahren gegen die Deutsche Telekom AG), sollte die Einführung eines Musterfeststellungsverfahrens gut abgewogen und nicht „über das Knie gebrochen“ werden. Überhastet konstruierte Gesetze sind häufig schädlicher als kein Gesetz. Das gilt auch hier. Sollte Martin Schulz zum Kanzler gewählt werden, täte er gut daran, sein eingangs geschildertes Wahlversprechen zu brechen und die Einführung des Musterfeststellungsverfahrens gut vorbereiten zu lassen.

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