Wasserstoff und Zivilrecht

Kaum ein Thema beschäftigt Wirtschaftspolitik und Industrie derzeit so intensiv wie Wasserstoff als zentrale Säule der Energiewende. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Russischen Föderation hat uns noch einmal auf besonders tragische Weise die Notwendigkeit einer Neuorientierung unserer Energieversorgung vor Augen geführt. Nach heutiger Einschätzung kann nur mit einer Produktion und Nutzung von grünem Wasserstoff in großem Maßstab die Energiewende ‑ genauer: die Dekarbonisierung – gelingen. Grüner Wasserstoff muss dort erzeugt werden, wo die Bedingungen für erneuerbare Energien am günstigsten sind, und er muss dorthin transportiert werden, wo er benötigt wird.

Schaut man aus der Perspektive des Rechtsberaters auf die Thematik, überwiegen gegenwärtig eindeutig öffentlich-rechtliche Fragestellungen: Umwelt- und Planungsrecht und verwandte Rechtsgebiete (z.B. Regulierungs- oder Energierecht) stehen im Vordergrund. Das darf nicht verwundern, denn Wasserstoff wird in technischen Anlagen gewonnen, gespeichert und befördert, die regelmäßig mit Umweltauswirkungen und Eingriffen in Rechte privater Dritter verbunden sind. Daneben gewinnt die Förderung aus öffentlichen Mitteln zunehmend an Bedeutung.

Noch unterentwickelt ist der zivilrechtliche Einschlag der Erzeugung und Nutzung von H2. Zu Unrecht, denn auch die privatrechtlichen Aspekte müssen bei Wasserstoff-Projekten beachtet werden und sowohl in die Projektplanung als auch in die Vertragsgestaltung einfließen.

Die wenigsten Wasserstoff-Vorhaben führt ein Unternehmen alleine durch. Die Zusammenarbeit mehrerer Partner – das Joint Venture – ist der Regelfall. Also geht es auch hier um Gesellschaftsverträge und Konsortialvereinbarungen. Wie organisieren sich die Partner und welche Rechte haben sie? Welche Gremien und Funktionen werden wie besetzt? Wie wird das Joint Venture finanziert? Welche Regeln gelten, wenn die Zusammenarbeit beendet werden soll/muss?

Auch die zum Joint Venture gehörenden Liefer- und Abnahmeverträge sind rechtssicher auszugestalten. Dabei müssen auch Aspekte des Kartellrechts berücksichtigt werden.

Nicht zuletzt sind in vielen Fällen immaterielle Rechte zu regeln: Welches Know-how bringt jede Partei ein und wie wird in der Partnerschaft entstehendes geistiges Eigentum behandelt? Welche Nutzungsrechte räumen sich die Partner wechselseitig und dem Joint Venture ein?

Der Vorhabenträger beauftragt die Errichtung von technischen Anlagen und erwirbt Anlagegüter im Volumen von vielen Millionen. Der entsprechende Anlagenbauvertrag muss der wirtschaftlichen Bedeutung angemessen, also de lege artis sein. Eventuelle Ersatzansprüche bei Leistungsstörungen müssen werthaltig und durchsetzbar sein. Zeitpläne bedürfen einer verbindlichen Regelung mit angemessenen Rechtsfolgen von Verzögerungen.

Die – keineswegs vollzählige – Aufzählung wirft ein Schlaglicht auf die zivilrechtlichen Facetten von Wasserstoff-Projekten. Sie macht deutlich, dass ein H2-Vorhaben letztlich den gleichen Regeln folgt wie jedes andere komplexe Industrieprojekt. Die Antwort darauf kann nur eine sorgfältige, dem Vorhaben adäquate Vertragsgestaltung sein.

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