Whistleblower-Richtlinie: Deutschland missachtet die erste Umsetzungsfrist

Whistleblower-Richtlinie der EU

Whistleblower sind Personen, die auf Missstände aufmerksam machen, indem sie diese an zuständige Stellen in Unternehmen oder Behörden melden oder ausnahmsweise die Öffentlichkeit informieren. Aber:

Wer die Wahrheit spricht, braucht ein schnelles Pferd.

Edward Snowden kann ein Lied davon singen. Um die Rechtssicherheit für Whistleblower zu erhöhen und um das berechtigte Whistleblowing von unberechtigtem Geheimnisverrat und übler Nachrede abzugrenzen, hat die Europäische Union im Jahr 2019 die "Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen Unionsrecht melden" (besser bekannt als Whistleblower-Richtlinie) erlassen.

Deutschland missachtet die erste Umsetzungsfrist

Die Richtlinie richtet sich an juristische Personen des öffentlichen Sektors (zum Beispiel Gemeinden) sowie an juristische Personen des privaten Sektors mit mehr als 50 Arbeitnehmern (zum Beispiel Unternehmen).

Diese Adressaten sind unter anderem verpflichtet, interne Meldekanäle einzurichten, die es Whistleblowern ermöglichen, in einem rechtlich geschütztem Rahmen Mitteilungen über Missstände abzugeben. Wie alle EU-Richtlinien (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) bedarf auch die Whistleblower-Richtlinie grundsätzlich der Umsetzung in das Recht der Mitgliedstaaten, um für ihre Adressaten verbindlich zu werden.

Die Whistleblower-Richtlinie musste bis zum 17. Dezember 2021 umgesetzt werden. Diese Frist hat Deutschland – wie auch die meisten anderen Mitgliedstaaten – verletzt. Das noch von der CDU/CSU/SPD-Regierung geplante Hinweisgeberschutzgesetz scheiterte an unterschiedlichen politischen Vorstellungen der ehemaligen Koalitionäre. Nur für juristische Personen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern gilt eine um zwei Jahre verlängerte Umsetzungsfrist bis zum 17. Dezember 2023.

Rechtsfolgen und nächste Schritte

Die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat im Koalitionsvertrag (S. 111) versprochen, die Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel umzusetzen. Wann dies der Fall sein wird, steht derzeit noch nicht fest. Damit stellt sich die Frage, welche Sanktionen von Seiten der EU drohen, sollte sich die Umsetzung in Deutschland noch weiter verzögern.

Theoretisch in Betracht käme ein Vertragsverletzungsverfahren, das von der Europäischen Kommission einzuleiten wäre und in dem Deutschland letztlich durch den Europäischen Gerichtshof zu Strafzahlungen verurteilt werden könnte. Dass es dazu kommt, ist aber nicht sehr wahrscheinlich: Zu oft missachten die Mitgliedstaaten verbindliche Umsetzungsfristen, eine leichte Fristübertretung gilt in Brüssel als Kavaliersdelikt. Zudem zeigt die neue Regierung sich zur Umsetzung gewillt.

Ein schärferes Schwert bietet die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Rn. 11 im Link): Danach entfaltet eine Richtlinie, die nicht rechtzeitig umgesetzt wurde, zumindest gegenüber staatlichen Stellen unmittelbare Wirkung, wenn sie dem Einzelnen individuelle Rechte verleiht und sie zudem hinreichend bestimmt und unbedingt ist. Bei der Whistleblower-Richtlinie könnten diese Voraussetzungen erfüllt sein.

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