Wenn Sie sich dazu entschieden haben, einen Betriebsunfall oder ein anderes Ereignis durch eine eigene Untersuchung aufzuklären, müssen Sie den vielleicht größten Fehler kennen, die man dabei machen kann: zu glauben, dass die dabei entstehenden Dokumente sozusagen geheim wären. Das stimmt nämlich nicht. Praktisch gesehen können Aufsichtsbehörden und Staatsanwaltschaft den Untersuchungsbericht und auch Protokolle von Interviews beschlagnahmen. Dafür gibt es nur enge Grenzen, und diese sind nicht überschritten, wenn es um ihre eigenen technischen Sachverständigen, externe Ingenieurbüros oder andere Dienstleister geht.
Wirklich klar ist nur, dass beim Verteidiger eines konkreten Beschuldigten nicht in Bezug auf diesen Fall durchsucht und beschlagnahmt werden darf. Ob sich daraus ein Schutz vor behördlichen Maßnahmen ergibt, wenn die Anwaltskanzlei nicht einen konkreten Beschuldigten berät, sondern das Unternehmen, ist rechtlich nicht abschließend geklärt. Das war allerdings noch nie anders, und deshalb überrascht mich manchmal, mit welch leichter Hand zum Beispiel interne Dokumente in großem Umfang an externe Dienstleister übergeben oder umfangreiche Protokolle von Interviews mit Unternehmensmitarbeitern angefertigt werden. Letzteres kann schlimmstenfalls den Mitarbeitern eine Verteidigung gegen strafrechtliche Vorwürfe stark erschweren, zumal die Interviewpersonen als Zeugen befragt werden können, wenn sie nicht zu einer der Berufsgruppen gehören, die ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht haben (wie zum Beispiel Ärzte, Priester oder auch Rechtsanwälte).
Das heißt natürlich nicht, dass Sie auf interne Untersuchungen verzichten sollen. Dafür gibt es schließlich gute Gründe (siehe dazu Teil 2 dieser Reihe). Und Sie können natürlich auch keine erlogenen Berichte vorlegen oder gefälschte Dokumente in Umlauf bringen. Das versteht sich schon im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit ihres Unternehmens von selbst und ist nebenbei bemerkt auch ziemlich schnell strafbar. Aber was dann?
Alle Fakten, die sich aus bereits existierenden Dokumenten ergeben, brauchen im Grunde genommen im Rahmen einer internen Untersuchung keinen besonderen Schutz. Sie müssen natürlich so vertraulich behandelt werden, wie es eben geht, aber weitere Schritte sind insoweit weder wirklich möglich noch nötig. Natürlich gilt inhaltlich, was ich schon in Teil 2 geschrieben habe, also eine Grundregel zurückhaltender Interpretation. Es gibt aber keinen Grund, zu „mauern“, wenn es um Fakten geht, die sich ohne weiteres aus bereits existierenden Unterlagen ergeben – zumal es gar nicht im Interesse des Unternehmens liegt, Missstände oder gar Straftaten zu verschleiern. Wenn so etwas vorgefallen ist, darf man selbstverständlich darauf hinarbeiten, die Folgen zu minimieren, es grundsätzlich zu bestreiten, ist oft nicht klug.
Bezüglich solcher Fakten bzw. Dokumente ist häufig eine sinnvolle Option, mit den Behörden zu kooperieren. Niemand kann wollen, dass es zu einer Durchsuchung kommt, um Unterlagen mitzunehmen, die sowieso nicht zurückgehalten werden könnten. Deshalb bietet sich an, diese Dokumente zumindest an einem zentralen Ort zusammenzufassen, um sie bei Bedarf den Behörden zügig und freiwillig übergeben zu können. Ihr Untersuchungsteam braucht eine solche Bibliothek sowieso, um vernünftig arbeiten zu können, und sie signalisieren damit den Behörden ihren Willen zur Zusammenarbeit. Es auch gar nicht selten, dass solche Signale dazu führen, die interne Untersuchung abzuwarten und nach Vorlage des Berichts über weitere Ermittlungen zu entscheiden (was man dann allerdings auch tatsächlich tun sollte).
Anders sieht die Sache mit Unterlagen aus, die noch gar nicht existieren. Was nicht in der Welt ist, kann auch nicht beschlagnahmt werden, und daraus ergibt sich die Grundregel: erst überlegen, dann aufschreiben. Auswertungsberichte können missverständlich sein, oft nur in Nuancen, auf die es aber rechtlich womöglich ankommt. Auch dies spricht für meinen Ratschlag, den ich Ihnen in Teil 1 dieser Reihe ungefragt erteilt habe, so früh wie möglich ihre Rechtsabteilung in interne Untersuchungen einzubinden. Dort sitzen Menschen, die wissen, wie man solche Missverständnisse vermeidet. Mir ist wichtig, dass ich mit diesem Ratschlag nicht die Arbeit der Behörden erschweren will. Ich habe mich deshalb sehr gefreut, als vor einiger Zeit nach einem Vortrag über das Vermeiden von Rechtsfehlern bei Betriebsunfällen eine Dame zu mir kam. Sie sei von der Bezirksregierung und sehr froh, dass das endlich einmal jemand so klar gesagt habe. Auch für die Behördenmitarbeiter sei es nämlich keine Freude, nach Wochen oder Monaten zu bemerken, dass man lange Vermerke wegen eines Missverständnisses im Grunde genommen wegwerfen könne.
Was Interviews mit Mitarbeitern angeht, hatte ich den Zeigefinger schon mahnend gehoben (siehe dazu Teil 2 der Reihe). Insbesondere dann, wenn diese Mitarbeiter auch nur theoretisch einen Schuldvorwurf zu erwarten haben könnten, müssen Sie vor Beginn von Interviews überlegen, ob sie Befragungsprotokolle produzieren wollen, in denen sich die Mitarbeiter möglicherweise selbst belasten. Jedenfalls im Strafprozess muss das niemand tun. Dieses Recht kann verloren gehen, wenn eine Befragung durchgeführt wird, von der es ein (aus Sicht des Mitarbeiters) schlimmstenfalls aussagekräftiges Protokoll und möglicherweise drei oder vier Zeugen dazu gibt.
Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen ihre eigene Rechtsabteilung nur bedingt helfen kann. Anders als externe Rechtsanwälte haben Syndikusrechtsanwälte nämlich nur ein eingeschränktes gesetzliches Schweigerecht. Deshalb ist der „sichere“ Umgang mit Interviews eine heikle Sache. Die spannende Frage ist, ob sie für ihre interne Untersuchung tatsächlich konkrete Protokolle von Interviews benötigen oder ob informatorische Befragungen ausreichen. Weiter ermitteln kann die Staatsanwaltschaft bei Bedarf ja immer noch, ihr geht also dadurch nichts verloren. Sie sollten nur offen mit den Beamten umgehen. Und mit Ihren Mitarbeitern auch. Die Idee, man könne staatliche Stellen „da raushalten“, ist in aller Regel falsch.
Ihre „Bordjuristen“ wissen, wie während einer Untersuchung mit Aufsichtsbehörden und gegebenenfalls der Staatsanwaltschaft kommuniziert werden sollte, um überraschende Ermittlungsmaßnahmen (zum Beispiel Durchsuchungen) möglichst abzuwenden oder zumindest darauf vorbereitet zu sein. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn den Behörden Kooperationsbereitschaft signalisiert worden ist. Falls zwischenzeitlich der Eindruck entsteht, eine Zusage sei nicht ernst gemeint gewesen, kippt die Stimmung schnell.