Die Überschrift klingt rechthaberisch, aber es geht in diesem Blogbeitrag um etwas anderes, nämlich um juristische Forschung.
„Gibt es die überhaupt?“, fragt sich der Leser vielleicht, „was soll man denn da erforschen, steht das nicht alles im Gesetz?“
Nun, ob Jura etwas mit Wissenschaft zu tun hat, ist eine alte Frage. Ganz kurz kann man sie damit beantworten, dass an juristischen Fakultäten jedenfalls eine Menge Systematisierung der gewaltigen Menge an Rechtsvorschriften stattfindet, und außerdem geht es darum, in schwierigen Fällen die Komplexität des Rechtssystems zu beherrschen – also Aspekte miteinander widerspruchsfrei zu vereinen, die auf den ersten Blick vollkommen gegenläufig erscheinen. Plastische Beispiele schreibt das Leben, etwa den Fall Daschner, ein wahr gewordenes Ticking Bomb-Szenario: Darf man eine Person foltern, um damit den Tod einer anderen zu verhindern?
Man kann allerdings auch andere Fragen stellen, die weniger publikumsträchtig sind, deshalb aber nicht weniger wichtig. Es handelt sich dann sozusagen um die juristische Grundlagenforschung, bei der er es – ganz stark zusammengefasst – darum geht, wie das Recht und die Rechtssysteme funktionieren. Das betrifft zum Beispiel die geradezu klassische Frage, wie sich Recht, Sitten und Moral zueinander verhalten. Ist ungerechteres Recht überhaupt Recht?, wäre ein klassisches Thema (dazu im deutschen Rechtsraum klassisch: die Radbruch'sche Formel). Unter Rechtsanwälten ist es eher unüblich, sich mit solchen Grundlagenfragen zu befassen. Für uns Praktiker stehen andere Themen im Vordergrund (und das ist, um ein Bürgermeisterwort zu entleihen, auch gut so).
Wenn ich ein Thema aus diesem Bereich anfasse, bewege ich mich also etwas außerhalb des Üblichen. Das hat den Hintergrund, dass ich mich während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter und der Arbeit an meiner Dissertation intensiv damit beschäftigt habe, wie Rechtsanwendung im tiefsten Inneren funktioniert. Dieser Gegenstand hat mich nicht mehr losgelassen, denn wenn man ihn um Erfahrungen aus der Praxis anreichert, erlaubt er mir eine Beschäftigung mit einer der wichtigsten Fragen meines Berufs als Rechtsanwalt: Wie man kriegt, was man will, und zwar legal. Das finde ich hochspannend, ganz nach dem Motto „Etwas Theorie hat noch keiner Praxis geschadet“. Schon seit einiger Zeit verbinde ich Theorie und Anwaltspraxis deshalb in einer kleinen Vorlesung an der Ruhr-Universität Bochum, in der ich Studierenden nicht nur juristische Methodik vermittele, sondern darüber hinaus auch ethisch-moralische Fragen der Interessenvertretung und nicht zuletzt die Soft Skills zum Erreichen von Zielen. Das sind Gesichtspunkte anwaltlicher Arbeit, welche in der juristischen Ausbildung ansonsten kaum einmal angesprochen werden.
Eine der dabei auftauchenden Fragen habe ich nun in einem Aufsatz behandelt, den die Redaktion der Juristischen Schulung (das ist eine alteingesessene Ausbildungszeitschrift) freundlicherweise veröffentlicht hat. Es geht dabei unter dem Titel „Was macht Rechtsauffassungen vertretbar?“ um ein Problem, das – einigermaßen erstaunlich – bislang kaum konzise erforscht worden ist: Woran erkennt man, ob eine Rechtsansicht richtig ist? Wieso können (was nicht wenige unserer Mandanten immer wieder überrascht) zu einer Rechtsfrage unterschiedliche richtige Antworten existieren? Wer darüber nachdenkt, stößt auf eine Menge Literatur, aber im Zentrum all des Papiers auf wenig Antworten und auf einen interessanten Befund. Genauso, wie Erkenntnisphilosophen an der Wahrheit und Sprachtheoretiker an feststehenden Bedeutungen von Wörtern zweifeln (ein für die auf geschriebene Gesetze vertrauenden Juristen erschütternder Befund!), sind Rechtsanwender in der Praxis meistens übereinstimmend der Meinung, dass bestimmte Rechtsansichten vertretbar sind und andere nicht. Mehr noch, oft genug können wir sogar sagen, welche Rechtsauffassung (ganz „objektiv“) vorzugswürdig erscheint. Wie kann das sein?
Mein Vorschlag zur Auflösung dieses Widerspruchs ist gleichermaßen bei studentischen wie professoralen Lesern auf Zuspruch gestoßen, und das freut mich beinahe am meisten am Abschluss dieses Forschungsprojekts. Es bestätigt mich nicht nur darin, dass ich helfen konnte zu erklären, wie man „richtig“ Recht hat und damit eine Theorielücke von hoher praktischer Bedeutung zu schließen. Genauso wichtig ist mir, ganz unterschiedliche Adressaten abgeholt zu haben – das gehört für mich zu guter Anwaltsarbeit dazu.
Wenn Sie, liebe Leser, einen Blick in die juristische Grundlagenforschung werfen möchten, sprechen Sie mich gerne an. Und seien Sie unbesorgt: Ich weiß natürlich, dass der beste theoretische Hintergrund einer ist, den man praktischen Arbeiten nicht anmerkt. Wer mit mir zusammenarbeitet, wird also auch in Zukunft nicht mit Rechtsphilosophie zwangsbeglückt werden, sondern darf auf klare Antworten zählen.