Zur Geltendmachung von Nachschusspflichten gemäß § 735 BGB

Mit Urteil vom 27.10.2020 (Az.: II ZR 150/19) hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine in der Literatur bislang umstrittene Frage zur Geltendmachung von Nachschusspflichten gemäß § 735 BGB zum Zweck des internen Gesellschafterausgleichs wie folgt entschieden:

Auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die keine Publikumsgesellschaft ist, kann nach ihrer Auflösung, vertreten durch den Liquidator, Nachschüsse zum Zweck des Ausgleichs unter den Gesellschaftern einfordern.

Worum ging es (vereinfacht)?

Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wurde von dem Beklagten und dem weiteren Gesellschafter G. 1992 zur Errichtung und Bewirtschaftung eines Wohn- und Geschäftshauses gegründet. Seit dem Verkauf der gesellschaftseigenen Immobilie im März 2008 befindet sich die Klägerin in Liquidation.

Ausweislich einer im Jahr 2011 erstellten Auseinandersetzungsbilanz bestand eine Auseinandersetzungsforderung des G. in Höhe von 11.846,14 € sowie eine Auseinandersetzungsverbindlichkeit des Beklagten in gleicher Höhe. Die Auseinandersetzungsbilanz ist nicht durch Gesellschafterbeschluss festgestellt worden, da der Beklagte seine Zustimmung verweigert hat.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, der Auseinandersetzungsbilanz zuzustimmen und an die Klägerin 11.846,14 € zuzüglich Zinsen zu zahlen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung ist erfolglos geblieben. Danach sei eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht zur Geltendmachung von Nachschusspflichten gemäß § 735 BGB berechtigt, wenn der Nachschuss nur noch zum Ausgleich unter zwei Gesellschaftern benötigt werde. Dies entspreche dem Wortlaut des § 730 Abs. 1 BGB, der nach Auflösung der Gesellschaft in Ansehung des Gesellschaftsvermögens eine Auseinandersetzung "unter den Gesellschaftern" vorsehe.

Die Entscheidung des BGH

Dem ist der BGH nunmehr entgegengetreten. Gemäß dem aktuellen Urteil könne eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts sehr wohl nach ihrer Auflösung gemäß § 735 BGB Nachschüsse einfordern, auch wenn dies nur noch dem Ausgleich unter den Gesellschaftern diene.

Dabei verweist der BGH zunächst auf eine Entscheidung des Senats vom 30.01.2018 (Az.: II ZR 95/16), wonach bei einer Publikumsgesellschaft der Liquidator auch ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Ermächtigung befugt sei, namens der Gesellschaft rückständige Einlagen oder Nachschüsse nach § 735 BGB zum Zweck des internen Gesellschafterausgleichs einzufordern. Diese Rechtsprechung sei – entgegen vereinzelter Stimmen in der Literatur – auch auf andere Personengesellschaften zu übertragen.

Nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts seien Ausgleichsansprüche der Gesellschafter nicht mehr als reine Ansprüche der Gesellschafter untereinander anzusehen, sondern als Sozialansprüche bzw. Sozialverbindlichkeiten der Gesellschaft. Gläubigerin des Anspruchs auf Nachschuss gemäß § 735 BGB sei die Gesellschaft. Dieser Anspruch umfasse auch den Ausgleich eines durch die Rückerstattung von Einlagen entstehenden Fehlbetrags (§ 733 Abs. 2, § 735 Satz 1 Fall 2 BGB). Solange der Gesellschaft noch ein Anspruch auf Nachschuss gemäß § 735 BGB zustehe, sei ihre Vollbeendigung nicht eingetreten. Sie bestehe als Rechtssubjekt fort und werde vorbehaltlich einer anderweitigen gesellschaftsvertraglichen Regelung durch ihre Liquidatoren vertreten.

Die abweichende Auffassung der früheren Senatsrechtsprechung habe – in Übereinstimmung mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers – noch auf einem Gesamthandsverständnis der Personengesellschaften, das keine Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft kannte, beruht; dieses Verständnis sei inzwischen überholt.

Auch Zweckmäßigkeitserwägungen würden kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Dem Berufungsgericht sei zwar darin zuzustimmen, dass bei überschaubaren Verhältnissen ein unmittelbarer Ausgleich unter den Gesellschaftern einfacher umsetzbar sein könne als ein den Sozialansprüchen auf Einlagenrückgewähr und Nachschuss folgender Ausgleich "über die Gesellschaft". Dem praktischen Bedürfnis nach einer erleichterten Verfahrensweise in Liquidationsfällen, die ohne weiteres unter den Gesellschaftern unmittelbar abgewickelt werden können, werde aber bereits dadurch Rechnung getragen, dass in geeigneten Fällen die Ausgleichung unmittelbar unter den Gesellschaftern auf der Grundlage einer vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung vorgenommen werden könne.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bedürfe es zur Geltendmachung des Auseinandersetzungsguthabens nach der Auflösung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts keiner – von den Gesellschaftern festgestellten – Auseinandersetzungsbilanz, wenn kein zu liquidierendes Gesellschaftsvermögen mehr vorhanden sei. In diesem Fall könne der Gesellschafter, der für sich ein Guthaben beansprucht, dieses aufgrund einer vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung unmittelbar gegen den ausgleichspflichtigen Gesellschafter geltend machen; Streitpunkte über die Richtigkeit der Schlussrechnung seien in diesem Prozess zu entscheiden. Dieser Möglichkeit, bei überschaubaren Verhältnissen, namentlich in einer Zweipersonengesellschaft, den internen Ausgleich auf der Grundlage einer vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung unmittelbar unter den Gesellschaftern vornehmen zu können, stehe die Existenz zum internen Ausgleich benötigter Nachschussansprüche nicht entgegen; es genüge die vorherige Abwicklung des übrigen Gesellschaftsvermögens.

Wähle ein ausgleichsberechtigter Gesellschafter bei Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen den eben beschriebenen einfacheren Weg des unmittelbaren Ausgleichs, entfalle sein gegen die Gesellschaft gerichteter Anspruch auf Einlagenrückgewähr und damit zugleich der korrespondierende Nachschussanspruch der Gesellschaft gegen den anderen Gesellschafter.

Die bloße Möglichkeit einer vereinfachten Abwicklung schließe den auf Einlagenrückgewähr gerichteten Anspruch gegen die Gesellschaft aber noch nicht aus. Es könne im Einzelfall zweifelhaft sein, ob die Voraussetzungen eines Direktausgleichs aufgrund einer vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung vorliegen. Zudem könnten diese Voraussetzungen gegebenenfalls auch erst im Verlauf der Abwicklung und Auseinandersetzung eintreten. Würde es dem anspruchsberechtigten Gesellschafter in einem solchen Fall verwehrt, den "sicheren Weg" zu gehen und die Anspruchsabwicklung über die Gesellschaft zu betreiben, würde die mit dem Mittel der vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung angestrebte Erleichterung in ihr Gegenteil verkehrt.

Unbeschadet dessen könne allerdings in Fällen, in denen die Voraussetzungen eines unmittelbaren Ausgleichsanspruchs eindeutig gegeben sind, eine auf Erstattung der Mehrkosten gerichtete Ersatzforderung gegen denjenigen Gesellschafter bzw. Liquidator in Betracht zu ziehen sein, der den Ausgleich unnötigerweise über die Gesellschaft betreibt und hierdurch treupflichtwidrig handele.

Zusammenfassung

Das, was der BGH bereits für Publikumsgesellschaften entschieden hatte, gilt nunmehr auch für andere Personengesellschaften: Ein Liquidator kann namens der Gesellschaft Nachschusspflichten zum Zweck des internen Gesellschafterausgleichs geltend machen.

Er sollte zuvor jedoch stets prüfen, ob nicht auch ein unmittelbarer Ausgleichanspruch unter den Gesellschaftern in Betracht kommt. Verkennt er das eindeutige Vorliegen der diesbezüglichen Voraussetzungen, haftet er andernfalls unter Umständen aufgrund eines Verstoßes gegen seine Treupflicht für etwaige mit der Geltendmachung verbundene Mehrkosten.

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