„Lässt sich das Kartellrecht
so gestalten und nutzen,
dass es den Mittelstand stärkt
statt hemmt?“
Schreiben Sie mir Ihre Meinung!
Ist Kartellrecht mittelstandsfeindlich?
Welche Hemmnisse bestehen?
Während Konzerne interne Absprachen und Informationsflüsse weitgehend ohne kartellrechtliche Konsequenzen treffen können, unterliegen mittelständische Unternehmen strengen Grenzen der Zusammenarbeit. So kann ein strukturelles Ungleichgewicht entstehen – Kooperation wird für Kleine zu einem erheblichen Compliance-Risiko, für Große zum Wettbewerbsvorteil. Dies gilt auch auf der Einkaufsseite.
[§ 36 Abs. 2 GWB; BGH, Urteil vom 23. Juni 2009, KZR 21/08, Tz. 15 – Entega; Horizontal-Leitlinien 2023, Rz. 9 ff.; EuGH, Urteil vom 10. September 2009, C-97/08 P Tz. 54 ff. – Akzo Nobel]
Das europäische Vertriebskartellrecht wird maßgeblich durch die Vertikal-GVO, eine europäische Verordnung, geprägt. Diese schützt in ihrem Anwendungsbereich Abnehmer vor Einflussnahmen durch Lieferanten.
Unzulässig ist insbesondere eine Einflussnahme von Lieferanten auf die Weiterverkaufspreise ihrer Abnehmer.
Tatsächlich kann Preisbindung jedoch dazu dienen, ein Markenimage zu pflegen, Investitionen durch Abnehmer in eine Marke zu schützen und den – entscheidenden – Interbrandwettbewerb (also den Wettbewerb zwischen Marken) zu befördern.
[Verordnung vom 10. Mai 2022 über die Anwendung des Artikels 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (Vertikal-GVO) Art. 4 lit. a); Leitlinien für vertikale Beschränkungen (ABl. EU v. 30.6.2022, Nr. C 248, S. 1 ff.), Rz. 185 ff.]
Zwar gibt es Regeln, die die Ausnutzung von Marktmacht zugunsten von Nachfragern oder (anderen) Anbietern verhindern sollen. Oftmals sind dies jedoch „zahnlose Tiger“.
Auf nationaler Ebene wird das BKartA nur in wenigen, eher prestigeträchtigen Fällen gegen marktmächtige Unternehmen tätig, bspw. gegen Amazon oder Facebook. Obwohl das BKartA auch unterhalb der Schwelle absoluter Marktbeherrschung gegen Unternehmen vorgehen könnte, bleibt die betreffende Vorschrift durch die Bonner Behörde nahezu ungenutzt. Unternehmen, die Opfer (relativer) Abhängigkeit und missbräuchlicher Verhaltensweisen anderer Unternehmen sind, werden auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Schon aus Kostengründen und um anonym zu bleiben, ist der lange und steinige Weg vor die Zivilgerichte jedoch häufig keine gangbare Option.
Kartellrechtliche Bußgelder treffen alle – aber nicht alle gleich hart.
Für große Unternehmen sind Bußgelder womöglich kalkulierbare Risiken, für mittelständische Betriebe dagegen existenzbedrohend. Hinzu kommen lange Verfahren, hohe Verteidigungskosten und ein erhebliches Verzinsungsrisiko. So kann das Kartellrecht, das eigentlich Fairness sichern soll, selbst zum Ungleichheitsfaktor im Wettbewerb werden.
[§ 81c Abs. 1, Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 GWB, § 81 f GWB; Bußgeldleitlinien des BKartA]
Gibt es weitere Elemente der aktuellen Rechtslage im Kartellrecht, die sich für den Mittelstand nachteilig auswirken können?
Was tut das BKartA?
Das Bundeskartellamt hat am 25. Juni 2020 das Vertriebsmodell der Online-Plattform der Intersport-Verbundgruppe gebilligt. Intersport vereint zahlreiche meist mittelständische Sportfachhändler, die durch die gemeinsame Plattform eine realistische Chance erhalten, im Online-Handel sichtbar zu bleiben. Das Bundeskartellamt würdigt, dass das Modell den Wettbewerb stärkt, indem es kleineren Händlern den Zugang zum digitalen Markt erleichtert und ihnen eine Alternative zu dominanten Akteuren wie Amazon bietet. Zugleich verlangt es einen diskriminierungsfreien Plattformzugang – ein deutlich mittelstandsfreundliches Signal.
Das Bundeskartellamt stärkte wiederholt kleinere Unternehmen im Plattformwettbewerb. So verpflichtete es 2019 Amazon, seine einseitig zulasten von Marketplace-Händlern gestalteten Geschäftsbedingungen zu ändern – ein wichtiger Schritt für fairere Wettbewerbsbedingungen im Onlinehandel. Bereits zuvor untersagte das Amt Booking.com die Verwendung sogenannter Bestpreisklauseln, die Hoteliers an günstigere Eigenangebote hinderten. Beide Entscheidungen sichern mittelständischen Anbietern mehr unternehmerische Freiheit und Zugang zu digitalen Vertriebskanälen unter fairen Bedingungen.
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Die Beispiele zeigen, dass das BKartA mittelstandsgerechte Lösungen und Rechtsdurchsetzung anstrebt. Das rechtliche Korsett ist jedoch eng.
Was müsste noch passieren?
Bedarf es einer gesetzlichen Anpassung des Rechtsrahmens? Wenn ja, wie könnte dieser aussehen?
Gibt es weitere Positivbeispiele?
Fallen Ihnen weitere Beispiele für einen mittelstandsfreundlichen Ansatz des BKartA oder des deutschen Gesetzgebers auf?


