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§ 1 GeschGehG Bearbeiter: Jens Nebel Stand: 27.06.2019

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz dient dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung,
     Nutzung und Offenlegung.


(2) Öffentlich-rechtliche Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von
     Geschäftsgeheimnissen gehen vor.


(3) Es bleiben unberührt:
 

  1. der berufs- und strafrechtliche Schutz von Geschäftsgeheimnissen, deren unbefugte Offenbarung von § 203 des Strafgesetzbuches erfasst wird,
  2. die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389), einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien,
     
  3. die Autonomie der Sozialpartner und ihr Recht, Kollektivverträge nach den bestehenden europäischen und nationalen Vorschriften abzuschließen,
  4. die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen.


1. Anwendungsbereich (Abs. 1)

Abs. 1 definiert den Schutzzweck des Gesetzes.

2. Vorrangige öffentlich-rechtliche Regelungen (Abs. 2)

Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie berührt diese nicht (i) die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen die Inhaber von Geschäftsgeheimnissen verpflichtet sind, aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen, auch Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten offenzulegen, damit diese ihre Aufgaben wahrnehmen können, und ebenfalls nicht (ii) die Anwendung von Vorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten, nach denen es den Organen und Einrichtungen der Union oder den nationalen Behörden vorgeschrieben oder gestattet ist, von Unternehmen vorgelegte Informationen offenzulegen, die diese Organe, Einrichtungen oder Behörden in Einhaltung der Pflichten und gemäß den Rechten, die im Unionsrecht oder im nationalen Recht niedergelegt sind, besitzen.

Gemäß Erwägungsgrund 11 soll die Richtlinie Rechtsvorschriften unberührt lassen, nach denen Informationen, darunter Geschäftsgeheimnisse, gegenüber der Öffentlichkeit oder staatlichen Stellen offengelegt werden müssen. Gleiches gilt für solche Regelungen, die es staatlichen Stellen erlauben, zur Erledigung ihrer Aufgaben Informationen zu erheben oder einschlägige Informationen an die Öffentlichkeit weiterzugeben.

Im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben soll Abs. 2 somit den Anwendungsvorrang von öffentlich-rechtlichen Vorschriften zur Geheimhaltung, Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen regeln. Das Gesetz gilt damit nur zwischen Privaten, betrifft aber nicht das Verhältnis zwischen Privaten und öffentlichen Stellen. Nicht anwendbar ist das Gesetz damit auf Informationsansprüche gegen staatliche Stellen, etwa aus den Informationsfreiheits- oder Pressegesetzen, öffentlich-rechtliche Vorschriften zur Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen, oder Verschwiegenheitspflichten für Angehörige des öffentlichen Dienstes (einschließlich Notaren). In derartigen Gesetzen kann also der Schutz von Geschäftsgeheimnissen anders ausgeprägt sein, [1] was eine andere Definition des Begriffes von Geschäftsgeheimnissen einschließt.[2]

Die Gesetzesbegründung betont ausdrücklich, dass nach Vorstehendem das Geschäftsgeheimnisgesetz insbesondere auch keine Anwendung auf die Vorschriften zum Zugang zu Umweltinformationen findet. [3]

Nicht geklärt ist, ob öffentliche Stellen befugt wären, sich zum Schutz eigener Geschäftsgeheimnisse auf das Gesetz zu berufen, was dort eine Rolle spielen kann, wo sich der Staat – etwa im Rahmen der Daseinsvorsorge – in zulässiger Weise wirtschaftlich betätigt. Während die Gesetzesbegründung pauschal davon spricht, dass das Gesetz nur das Verhältnis zwischen Privaten regele und nicht das Verhältnis zwischen Privaten und staatlichen Stellen, so lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck eine solche Einschränkung entnehmen. Vielmehr ist es durchaus denkbar, dass eine öffentliche Stelle die – verhältnismäßig generisch gehaltenen – Definitionen des Geschäftsgeheimnisses (§ 2 Nr. 1 GeschGehG ) und des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses (§ 2 Nr. 2 GeschGehG ) erfüllen könnte, so dass man nicht pauschal von einer Unanwendbarkeit des Gesetzes für öffentliche Stellen ausgehen kann, jedenfalls soweit nicht vorrangige öffentlich-rechtliche Spezialvorschriften existieren.

3. Neben dem Geschäftsgeheimnisgesetz anwendbare Regelungen (Abs. 3)

a) Berufsrechtliche Strafvorschriften (Nr. 1)

Das Gesetz stellt in Abs. 3 Nr. 1 GeschGehG klar, dass die Strafvorschrift des § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen), die die beruflichen Verschwiegenheitspflichten regelt, unberührt bleibt. Auch eine nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz erlaubte Handlung kann damit den Straftatbestand des § 203 StGB verwirklichen. Nicht ausdrücklich erwähnt wird § 353b, was indes seinen Grund im Anwendungsvorrang des Abs. 2 findet.[4]

Noch nicht geklärt ist die Frage, inwieweit § 203 StGB insbesondere im Bereich des Journalismus europarechtskonform einschränkend ausgelegt werden muss. Insbesondere für den Bereich des Journalismus galt nach bisherigem Recht, dass eine Teilnahme an der Haupttat eines Geheimnisträgers nach § 203 StGB möglich ist.[5] Wenn sich der Handelnde auf den Rechtfertigungsgrund des § 5 Nr. 1 GeschGehG berufen kann, so wirft dies die Frage auf, ob insoweit gleichwohl eine Straftat nach § 203 StGB vorliegen kann.

Indes ist bereits sehr fraglich, ob dem europäischen Gesetzgeber überhaupt eine Rechtssetzungskompetenz für strafrechtliche Vorschriften im Bereich des Geheimnisschutzes zukommt, denn zu den Gebieten, in denen das Europäische Parlament und der Rat gemäß Art. 83 AEUV durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten erlassen dürfen, gehören lediglich Bereiche besonders schwerer Kriminalität, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen, wie beispielsweise Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. Den Schutz von Geschäftsgeheimnissen wird man nicht darunter fassen können, selbst wenn dieser in organisierter Form oder mithilfe von Computern erfolgen sollte.

Zudem regelt Art. 5 der Richtlinie, der in § 5 GeschGehG umgesetzt ist, lediglich eine Ausnahme für die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe. Da die Richtlinie jedoch keine strafrechtlichen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe beinhaltet, findet die Ausnahmeregelung auf Straftatbestände ohnehin keine Anwendung. Bestenfalls lässt sich festhalten, dass zivilrechtliche Folgen einer Verletzung von § 203 StGB (etwa in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB) insoweit nicht eingreifen können, wie die Ausnahmeregelung in § 5 GeschGehG anwendbar wäre.

b) Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit (Nr. 2)

Gemäß Abs. 3 Nr. 2 GeschGehG bleibt die Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien nach der Grundrechtecharta [6] unberührt. Die Regelung setzt Art. 1 Abs. 2 lit. a der Richtlinie um. Dass die Grundrechtecharta durch eine Richtlinie nicht überregelt werden kann, wäre indes auch ohne ausdrückliche Erwähnung selbstverständlich.

Viel unklarer ist die Frage, welche Rechtswirkung die Regelung entfaltet, handelt es sich bei den genannten Grundrechten doch nicht um schrankenlos gewährleistete Freiheiten. Gesetze, die die genannten Freiheiten einschränken, müssen nach der Wechselwirkungslehre [7] wiederum im Lichte der besonderen Bedeutung dieser Grundrechte für den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden.

Insbesondere ist nicht klar, ob der Regelung in Anbetracht der Ausnahmeregelung in § 5 Nr. 1 GeschGehG ein eigenständiger Bedeutungsgehalt zukommt. § 5 Nr. 1 GeschGehG regelt explizit, in welchen Fällen die Erlangung, Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Grundrechtecharta (einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien) zulässig sein soll. In Anbetracht dessen ist nicht ersichtlich, worin ein etwaiger gesonderter Bedeutungsgehalt von § 1 Abs. 3 Nr. 2 GeschGehG liegen soll, denn die genannten Grundrechte kommen im Rahmen der Ausnahmeregelung des § 5 Nr. 1 GeschGehG vollumfänglich zum Tragen.

c) Autonomie der Sozialpartner (Nr. 3)

Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d berührt die Richtlinie nicht die Autonomie der Sozialpartner und ihr Recht, Kollektivverträge nach dem Unionsrecht sowie gemäß den Gepflogenheiten und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einzugehen. Abs. 3 Nr. 3 GeschGehG setzt diese Regelung um. Insbesondere angesprochen sind damit die Regelungen des TVG und des BetrVG. Wie Erwägungsgrund 12 der Richtlinie zu entnehmen ist, können damit in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen insbesondere Pflichten zur Nichtoffenlegung von Geschäftsgeheimnissen oder zur Beschränkung ihrer Nutzung vereinbart werden, ebenso wie besondere, vom Gesetz abweichende Konsequenzen eines Verstoßes. Indes dürfen auch solche Kollektivvereinbarungen die gesetzlichen Ausnahmen der §§ 3 und 5 GeschGehG nicht beschränken.

d) Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und Rechte der Arbeitnehmervertretung (Nr. 4)

Die Regelung ist auf Betreiben des Bundesrates in das Gesetz aufgenommen worden und findet in der Richtlinie in dieser Form keine ausdrückliche Entsprechung.

Der erste Teil der Vorschrift soll im Hinblick auf die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis den in § 3 Abs. 2 GeschGehG angeordneten Vorrang von rechtsgeschäftlichen und spezialgesetzlichen Sonderregelungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen flankieren.[8] Der Textvorschlag sieht sich zudem im Einklang mit der Mobilitätsregelung in Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie. Insbesondere sollen die Anforderungen der bestehenden arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung an die Vereinbarung von Karenzzeiten (also nachvertraglichen Wettbewerbsverboten) nicht unterlaufen werden können.

In der Tat enthielt der ursprüngliche Gesetzentwurf keine Art. 1 Abs. 3 entsprechende Regelung, was insbesondere die Frage aufgeworfen hätte, ob nicht Arbeitgeber durch arbeitsvertragliche Regelungen – im Widerspruch zur bisherigen Rechtslage [9] – vorsehen können, dass Arbeitnehmer die im üblichen Rahmen ihrer Tätigkeit erworbenen Erfahrungen und Fähigkeiten bei einer Folgebeschäftigung nicht weiterverwenden dürfen.

Sowohl Formulierung als auch systematische Verortung erscheinen indes misslungen. Was den Vorrang arbeitsvertraglicher Gestattungen betrifft, so ist bereits fraglich, worin der Regelungsbedarf bestand, denn § 3 Abs. 2 GeschGehG spricht allgemein von einer rechtsgeschäftlichen Gestattung, worunter auch ohne ausdrückliche Regelung eine durch Arbeitsvertrag begründete Gestattung fällt. Angesichts der Verortung in § 1 Abs. 3 GeschGehG stellt sich allerdings nun die systematische Frage, ob auch ohne rechtsgeschäftliche Gestattung der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses Raum für das Argument bleibt, unberührt bleibende Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis könnten den Geheimnisschutz des Gesetzes einschränken. Dies stellt zumindest eine vermeidbare Verwirrung dar und begegnete – wenn man zu einer solchen Auslegung gelänge – erkennbaren Bedenken im Hinblick auf die europarechtlichen Mindestvorgaben.

Im Hinblick auf die wesentlich wichtigere Mobilitätsgarantie, derzufolge der Wechsel eines Arbeitnehmers nicht dadurch eingeschränkt sein darf, dass das Gesetz im Sinne einer Beschränkung der Nutzung von Erfahrungen und Fähigkeiten ausgelegt wird, die Arbeitnehmer im normalen Verlauf ihrer Tätigkeit ehrlich erworben haben, verfehlt der Wortlaut das Regelungsziel. Denn es ist keineswegs klar, dass sich diese Befugnis aus den „Rechten und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis“ ergibt. Die BGH-Rechtsprechung zum UWG beruhte im Kern auf einer Analyse des Merkmals des unredlichen Erlangens.[10] Die Frage, inwieweit der Mitarbeiter arbeitsvertraglichen Bindungen unterliegt, [11] ist von der deliktischen Bewertung abgekoppelt.[12] Insofern schützt die Regelung des Art. 3 Nr. 4 ihrem Wortlaut nach keineswegs die Mobilitätsgarantie des Arbeitnehmers. Zu diesem Ergebnis kommt man allerdings im Ergebnis gleichwohl, wenn auch erst nach einer aufgrund des missglückten Wortlautes erforderlichen richtlinienkonformen Auslegung.

Der zweite Teil der Vorschrift soll Erwägungsgrund 18 der Richtlinie Rechnung tragen, der die Rechtmäßigkeit der Offenlegung von Geheimnissen insbesondere im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung besonders hervorhebt.[13] Die Formulierung „Rechte der Arbeitnehmervertretungen“ soll dabei weit zu verstehen sein und sämtliche den Arbeitnehmervertretern zustehenden Rechte umfassen. Freilich finden sich entsprechende Regelungen bereits in § 3 Abs. 1 Nr. 3 GeschGehG und § 5 Nr. 3 GeschGehG, so dass es der Klarstellung nicht unbedingt bedurft hätte.


[1] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 23.

[2] Vgl. Goldhammer, NVwZ 2017, 1809, 1814.

[3] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 23.

[4] Rn. 4.

[5] Vgl. Eisele, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 203 Rn. 111; Brüning, NStZ 2006, 253.

[6] Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 v. 26.10.2012.

[7] Grundlegend BVerfGE 7, 198.

[8] Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 19/8300, S. 13.

[9] Vgl. BGH, GRUR 1963, 367 – Industrieböden; BGH, GRUR 2002, 91 – Spritzgießwerkzeuge; BGH, GRUR 1999, 934 – Weinberater.

[10] Vgl. BGH, GRUR 2002, 91, 92 – Spritzgießwerkzeuge.

[11] Vgl. BAG, NJW 1983, 134, 135; BAG, NJW 1988, 1686, 1687.

[12] Vgl. BGH, GRUR 2002, 91, 92 – Spritzgießwerkzeuge.

[13] Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 19/8300, S. 13.