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§ 16 GeschGehG Bearbeiter: Jens Nebel Stand: 27.06.2019

§ 16 Geheimhaltung

(1) Bei Klagen, durch die Ansprüche nach diesem Gesetz geltend gemacht werden (Geschäftsgeheimnisstreitsachen) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, wenn diese ein Geschäftsgeheimnis sein können.

(2) Die Parteien, ihre Prozessvertreter, Zeugen, Sachverständige, sonstige Vertreter und alle sonstigen Personen, die an Geschäftsgeheimnisstreitsachen beteiligt sind oder die Zugang zu Dokumenten eines solchen Verfahrens haben, müssen als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen vertraulich behandeln und dürfen diese außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nicht nutzen oder offenlegen, es sei denn, dass sie von diesen außerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt haben.

(3) Wenn das Gericht eine Entscheidung nach Absatz 1 trifft, darf Dritten, die ein Recht auf Akteneinsicht haben, nur ein Akteninhalt zur Verfügung gestellt werden, in dem die Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Ausführungen unkenntlich gemacht wurden.



1. Zweck/Hintergrund

Das Gesetz regelt in §§ 16-20 GeschGehG die Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen, soweit diese im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Gesetz in das Gerichtsverfahren eingeführt werden. Die Regelungen basieren auf Art. 9 der Richtlinie, derzufolge die Mitgliedsstaaten sicherstellen müssen, dass die Verfahrensbeteiligten an einem Gerichtsverfahren die darin verhandelten Geschäftsgeheimnisse nicht nutzen oder offenlegen dürfen.

Die Regelungen sollen die Gefahr reduzieren, dass Inhaber von Geschäftsgeheimnissen vor einer gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen zurückschrecken, weil die Vertraulichkeit der Geschäftsgeheimnisse im Verfahren nicht gewährleistet sein könnte (Erwägungsgrund 24 der Richtlinie). Die in den §§ 16 bis 20 GeschGehG geregelten Schutzmaßnahmen sind daher Ausdruck des Rechtes auf einen wirksamen Rechtsbehelf sowie eines fairen Verfahrens.

Nach bisherigen Recht stellte sich die Lage für den Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses als nicht unproblematisch dar. Zwar gewährte die Rechtsprechung im Hinblick auf die Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO an eine bestimmte Antragsstellung gewisse Erleichterungen. So durfte der Bestimmtheitsgrundsatz nicht dazu führen, dass der Kläger unter Hintanstellung seiner berechtigten Geheimhaltungsinteressen gezwungen ist, im Klageantrag Geschäftsgeheimnisse zu offenbaren.[1] Dennoch konnte der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses materiell-rechtlich im Sinne seines Prozesserfolges dazu genötigt sein, sich im Detail zu den Merkmalen des Geschäftsgeheimnisses einzulassen. Auch haben die Parteien nicht in jeder Situation Einfluss auf diejenigen Informationen, die (z. B. durch Sachverständige) zur Gerichtsakte gelangen.

Insoweit konnte schon das dem Wortlaut nach uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht der Parteien (§ 299 Abs. 1 ZPO) dazu führen, dass der Inhalt des Geschäftsgeheimnisses offenbart wird. Einschränkungen dieses Akteneinsichtsrechts unter grundrechtlichen Erwägungen wurden zwar diskutiert,[2] führten aber nicht zu einer grundsätzlichen Institutionalisierung einer Interessenabwägung oder ähnlicher Formen der Beschränkung des Akteneinsichtsrechts. Insbesondere die Verpflichtung von Verfahrensbeteiligten zur Vertraulichkeit, wie diese in Besichtigungsverfahren üblich sind,[3] fehlten in Geschäftsgeheimnisstreitigkeiten ganz oder kamen bestenfalls sporadisch zum Einsatz.[4]

Auch die Möglichkeit, über §§ 174 Abs. 3, 172 Nr. 2 GVG Personen die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung oder durch ein die Sache betreffendes amtliches Schriftstück zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht machen, greift erst ab mündlicher Verhandlung und untersagt zudem nur die spätere Offenlegung, nicht aber die Nutzung des Geschäftsgeheimnisses.

2. Regelungsinhalt

a) Einstufung als Geschäftsgeheimnis (Abs. 1)

Bei Klagen, durch die Ansprüche nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz geltend gemacht werden, können die streitgegenständlichen Informationen auf Antrag ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werden.

aa) Geschäftsgeheimnisstreitsache

Zunächst muss es sich um eine Geschäftsgeheimnisstreitsache handeln. Darunter sind alle Arten von Klagen zu verstehen, durch die Ansprüche nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz geltend gemacht werden. Im Einklang mit dem Normzweck ist der Begriff weit auszulegen.[5] Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein Bezug zum Geschäftsgeheimnisgesetz dergestalt, dass das Rechtsverhältnis, aus dem der geltend gemachte Anspruch abgeleitet wird, den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegt. Auch Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und selbstständige Beweisverfahren fallen darunter.

Unter den Begriff fallen auch alle Ansprüche aus rechtsgeschäftlichen Erklärungen und Vereinbarungen, die im Geschäftsgeheimnisgesetz ganz oder teilweise geregelt sind. Beispiele hierfür sind Übertragungen, Belastungen, Gestattungen oder Lizenzen oder sonstige vertraglichen Vereinbarungen, deren Gegenstand die Inhaberschaft an oder die Rechte aus Geschäftsgeheimnissen bilden.

bb) Antrag

Erforderlich ist ein Antrag, in dem eine Partei darlegt, dass es sich bei einer bestimmten streitgegenständlichen Information um ein Geschäftsgeheimnis handelt. Der Antrag kann von jeder Partei gestellt werden. Der Wortlaut setzt nicht voraus, dass nur der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses dessen Einstufung als geheimhaltungsbedürftig beantragen kann; dies kann theoretisch auch durch den Gegner erfolgen, wenngleich dafür regelmäßig kaum ein praktisches Bedürfnis bestehen dürfte.

Der Antrag kann im Erkenntnisverfahren gestellt werden. Im Zwangsvollstreckungsverfahren ist ein isolierter Antrag nicht möglich; ist allerdings im Hauptsacheverfahren eine Anordnung nach § 16 GeschGehG getroffen worden, gilt diese im Zwangsvollstreckungsverfahren fort, § 19 Abs. 3 GeschGehG.

cc) Potentielles Geschäftsgeheimnis

Voraussetzung für den erfolgreichen Antrag ist lediglich, dass eine streitgegenständliche Information ein Geschäftsgeheimnis sein kann. Dies muss also keineswegs feststehen und kann zwischen den Parteien durchaus streitig sein. Das Gericht entscheidet hierüber nach Glaubhaftmachung durch den Antragsteller (§ 20 Abs. 3 GeschGehG) danach, ob es den Geschäftsgeheimnischarakter für überwiegend wahrscheinlich hält.[6]

Die Geheimhaltungsbedürftigkeit folgt bereits aus der Eigenschaft als Geschäftsgeheimnis. Eine darüber hinausgehende besondere Schutzbedürftigkeit des Geschäftsgeheimnisses ist nicht erforderlich.[7]

dd) Anordnung

Die Anordnung der Einstufung erfolgt durch Beschluss (§ 20 Abs. 5 Satz 1 GeschGehG). Rechtsfolge der Einstufung sind zum einen der Eintritt der in Abs. 2 und 3 angeordneten Rechtsfolgen ipso iure. Zum anderen kann das Gericht in diesem Fall auf (zusätzlichen) Antrag weitere Beschränkungen gemäß § 19 GeschGehG anordnen.

b) Folgen der Einstufung als Geschäftsgeheimnis (Abs. 2)

Die Einstufung nach Abs. 1 hat zur Folge, dass sämtliche Personen, einschließlich solchen der Justizverwaltung,[8 die an Geschäftsgeheimnisstreitsachen beteiligt sind oder Zugang zu Dokumenten eines solchen Verfahrens haben, die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen vertraulich behandeln müssen und diese außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens weder nutzen noch offenlegen dürfen.

Ein Verstoß gegen diese Beschränkung stellt zugleich einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 Nr. 2 bzw. 3 GeschGehG dar. Bei der Verletzung der Pflicht sind somit alle Sanktionen der §§ 6 ff. GeschGehG denkbar.[9] Auf Antrag können gemäß § 17 GeschGehG Ordnungsmittel verhängt werden. Daneben kommen auch beamten- oder berufsrechtliche Sanktionen in Betracht.[10]

Eine Ausnahme gilt insoweit, wie die betreffenden Personen außerhalb des VerfahrensKenntnis von den fraglichen Informationen erhalten haben. Ob diese Kenntnis rechtswidrig oder rechtmäßig erlangt wurde, ist für die Zwecke des § 16 GeschGehG ohne Belang. Denn § 16 GeschGehG soll nur Hemmnisses beseitigen, die einen Geschäftsgeheimnisinhaber davon abhalten könnten, Geschäftsgeheimnisse in ein gerichtliches Verfahren einzuführen. Nur für solche aus dem Verfahren stammenden Informationen bedarf es des Schutzes des § 16 GeschGehG. Hat die Person bereits Kenntnis, richten sich Schutz und Sanktionen ausschließlich nach den materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 3 bis 5 GeschGehG.[11] Dies gilt auch, wenn eine Person im Laufe des Verfahrens, auch nach einer Anordnung gemäß Abs. 1, eine solche Kenntnis außerhalb des Verfahrens erhält.

Nach dem Sinn und Zweck wird der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses durch die Anordnung nicht in der Nutzung und Offenlegung beschränkt.[12]

Die Geheimhaltungsbedürftigkeit hindert nicht die Verwertung in anderen gerichtlichen Verfahren. Dies folgt schon aus dem Wortlaut, der die Nutzung und Offenlegung nicht auf das vorliegende gerichtliche Verfahren beschränkt, und entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, die nicht dazu führen darf, dass Richter oder Rechtspfleger nicht mehr ihren Aufgaben nachkommen können.

c) Akteneinsicht von Dritten (Abs. 3)

Gemäß Abs. 3 müssen die geheimhaltungsbedürftigen Geschäftsgeheimnisse bei einer Akteneinsicht durch Dritte unkenntlich gemacht werden. Dritte haben gemäß § 299 Abs. 2 ZPO ein Akteneinsichtsrecht nur unter der Voraussetzung eines berechtigten Interesses. Die Einsichtnahme in geheimhaltungsbedürftige Geschäftsgeheimnisse stellt kein berechtigtes Interesse dar. Schon nach bisherigem Recht war zu prüfen, ob durch die Einsichtnahme schutzwürdige Interessen der Parteien verletzt werden können; insoweit waren die geheimhaltungsbedürftigen Aktenteile zu schwärzen oder zu entfernen.[13

3. Besondere Bezüge/Prozessuales

Mit dem erweiterten Schutz des Geschäftsgeheimnisses im Verfahren besteht kein Bedürfnis mehr, dem Antragsteller Erleichterungen im Hinblick auf die Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO[14] zukommen zu lassen.


[1] Vgl. BGH, GRUR 2018, 1161 Rn. 19 m. w. N. – Hohlfasermembranspinnanlage II.

[2] Vgl. Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 299 Rn. 19, 13.

[3] Vgl. BGH, GRUR 2002, 1617 – Faxkarte; BGH, GRUR 2010, 318 Rn. 23 ff. und 34 ff. – Lichtbogenschnürring.

[4] Vgl. LG Frankenthal, Beschluss vom 20.02.2015, Az. 6 O 386/12 (nicht veröffentlicht).

[5] Vgl. zu § 140 Abs. 1 MarkenG BGH, GRUR 2004, 622 – ritter.de; zu § 104 S. 1 UrhG BGH, GRUR 2016, 636 Rn. 13 – Gestörter Musikvertrieb; zu § 143 Abs. 1 PatG BGH, GRUR 2013, 756 Rn. 10 – Patentstreitsache II.

[6] Vgl. BGH, NJW 1998, 1870; BGH, NJW 1996, 1682; BGH, VersR 1976, 928 f.

[7] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 35.

[8] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 35.

[9] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 36.

[10] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 35.

[11] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 35

[12] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 35.

[13] Vgl. Prütting, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 299 Rn. 25.

[14] Rn. 4.