<>
§ 4 GeschGehG Bearbeiter: Dr. Kay Diedrich Stand: 27.06.2019

§ 4 Handlungsverbote

(1) Ein Geschäftsgeheimnis darf nicht erlangt werden durch

  1. unbefugten Zugang zu, unbefugte Aneignung oder unbefugtes Kopieren von Dokumenten, Gegenständen, Materialien, Stoffen oder elektronischen Dateien, die der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegen und die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt, oder
  2. jedes sonstige Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheit entspricht.

(2) Ein Geschäftsgeheimnis darf nicht nutzen oder offenlegen, wer

  1. das Geschäftsgeheimnis durch eine eigene Handlung nach Absatz 
    a) Nummer 1 oder
    b) Nummer 2 erlangt hat,
  2. gegen eine Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses verstößt oder
  3. gegen eine Verpflichtung verstößt, das Geschäftsgeheimnis nicht offenzulegen.

(3) Ein Geschäftsgeheimnis darf nicht erlangen, nutzen oder offenlegen, wer das Geschäftsgeheimnis über eine andere Person erlangt hat und zum Zeitpunkt der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung weiß oder wissen müsste, dass diese das Geschäftsgeheimnis entgegen Absatz 2 genutzt oder offengelegt hat. Das gilt insbesondere, wenn die Nutzung in der Herstellung, dem Anbieten, dem Inverkehrbringen oder der Einfuhr, der Ausfuhr oder der Lagerung für diese Zwecke von rechtsverletzenden Produkten besteht.



1. Zweck/Hintergrund

§ 4 GeschGehG  ist die zentrale Verbotsnorm im Regelungskonzept des GeschGehG: So kann der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses, § 2 Nr. 2 GeschGehG, vom Rechtsverletzer, § 2 Nr. 3 GeschGehG, beispielsweise Beseitigung der Beeinträchtigung und bei Wiederholungsgefahr Unterlassung verlangen, § 6 GeschGehG. Die Qualifikation als Rechtsverletzer knüpft zunächst an die generalklauselartigen Handlungsverbote des § 4 GeschGehG an. Diese werden durch die Einschränkungen der erlaubten Handlungen, § 3 GeschGehG, die Ausnahmen, § 5 GeschGehG, sowie die Anspruchsausschlüsse bei Unverhältnismäßigkeit näher abgegrenzt, § 9 GeschGehG.

Die Vorschrift beruht auf Art. 4 Abs. 1 bis 5 der Richtlinie.

Die Norm macht deutlich, dass Geschäftsgeheimnisse nicht gegen jede Art der Benutzung durch Dritte ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses geschützt sind. Die Gesetzesbegründung bezeichnet Geschäftsgeheimnisse „in gewisser Weise“ als Immaterialgüterrechte.[1] Die dogmatische Einordnung im Vergleich zu sonstigen Immaterialgüterrechten hilft aber kaum weiter. Zum harmonisierten Schutz und zur weitergehenden Nutzung von Geschäftsgeheimnissen im Binnenmarkt hat der Gesetzgeber absolut wirkende Regeln bestimmt, die autonom mit Blick auf die jeweiligen Vorgaben auszulegen sind. Eine Einordnung in harmonisierte Immaterialgüterrechte ist nicht erfolgt, so dass sich weitergehende Anleihen bei solchen Wertungskonzepten verbieten.

Hilfreich sind insoweit die mit dem Wortlaut abzuwägenden Regelungsziele, die den Schutz der Entwicklungsleistung von Geschäftsgeheimnissen, die Vereinheitlichung im Binnenmarkt, die Ermöglichung von Entwicklungs- und Nutzungszusammenarbeiten, die Begrenzung von Transaktionskosten und die Freihaltung von für die Allgemeinheit erforderlichen Informationen einschließen.[2]

2. Tatbestand

a) Verbotene Erlangung (Abs. 1)

Die verbotene Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses wird in Form einer Generalklausel unter Verweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben und anständige Marktgepflogenheiten im Einzelfall geregelt, § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG.[3]Konkretisierende Beispiele für solches Verhalten werden weiter ausdifferenziert, § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG. Diese Konkretisierung versteht sich auch mit Blick auf die daran anknüpfende Strafbarkeit und die damit gesteigerten Bestimmtheitsanforderungen, § 23 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG.

Die Nutzung oder Offenlegung eines rechtmäßig erlangten Geschäftsgeheimnisses kann gleichwohl gemäß Abs. 2 oder 3 ein Handlungsverbot auslösen.

aa) Erlangung durch bestimmte Verhaltensweisen (Nr. 1)

Die verbotene Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses soll zwar durch Nr. 1 konkretisiert werden. Die dazu gesetzlich bestimmten Objekte für Handlungsverbote, auf die sich tatbestandsmäßiges Verhalten beziehen kann, sind jedoch im Ergebnis unerheblich: Der Wortlaut erfasst sämtliche Dokumente, Gegenstände, Materialien, Stoffe oder elektronischen Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder aus denen sich das Geschäftsgeheimnis ableiten lässt.

Die Elemente der Aufzählung sind nicht im Sinne einer präzisen gesetzgeberischen Definition abgrenzbar: Dokumente können jede Form herkömmlicher Unterlagen (z.B. in Papierform) aber auch elektronische Dokumente einschließen. Gegenstände sind neben solchen analogen Dokumenten auch sonstige Sachen im Sinne von § 90 BGB. Materialien können gleichermaßen Dokumente und Gegenstände sein, aber auch elektronische Werkzeuge oder Datenbestände umfassen. Als elektronische Datei ist jedes Speicherformat anzusehen, in dem Daten oder Software in elektronischer Form reproduzierbar gemacht werden. Damit grenzt die Aufzählung der Objekte für Handlungsverbote keine Träger von Informationen aus. Sie bewirkt also keine Konkretisierung, da jede nicht ausschließlich im Bewusstsein eines Menschen reproduzierbare Information in einem Informationsgegenstand manifestiert und damit von der Definition erfasst ist. Jeder Informationsgegenstand in diesem Sinne enthält das Geschäftsgeheimnis oder ermöglicht seine Ableitung. Nur das lediglich mündliche Geheimnis (z. B. Abhören eines vertraulich geführten Gespräches) unterfällt nicht Nr. 1. Hierin liegt ein Unterschied zum bisherigen Recht, denn § 17 Abs. 2 Nr. 1 lit. a UWG a. F. erfasste auch Abhörvorrichtungen.[4] Das Erlangen nicht verkörperter Geschäftsgeheimnisse kann jedoch unter Nr. 2 fallen.

Die Erlangung des Geschäftsgeheimnisses darf nicht durch – jeweils unbefugt zu qualifizierenden – Zugang zu, Aneignung oder Kopieren des Informationsgegenstandes herbeigeführt werden. Auch insoweit erfasst der Wortlaut des Gesetzes umfassend und ohne konkretisierende Wirkung sämtlichen Umgang mit Informationsgegenständen.

Im Ergebnis ist für die Abgrenzung erlaubten Verhaltens von den Handlungsverboten auch nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG nur maßgeblich, ob der Umgang mit einem Informationsgegenstand als unbefugt anzusehen ist. Insoweit schließt das Gesetz von einem unbefugten Umgang mit dem Informationsgegenstand auf die unzulässige Erlangung des Geschäftsgeheimnisses.

Der tatbestandliche Informationsgegenstand muss der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegen. Abweichend von der Definition des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses bezieht sich die Kontrolle hier nicht auf das Geschäftsgeheimnis, sondern auf den Informationsgegenstand. Die Regelung versteht sich damit komplementär zur Definition der erlaubten Handlungen in § 3 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG: Rechtmäßige Kontrolle am tatbestandlichen Informationsgegenstand für einen dritten Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ist jedenfalls nicht gegeben, wenn der Informationsgegenstand öffentlich verfügbar gemacht wurde oder auf anderem Wege in den rechtmäßigen Besitz des nach § 4 GeschGehG Handelnden gekommen ist, § 854 BGB.

Unbefugter Umgang mit dem Informationsgegenstand im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG ist also immer dann gegeben, wenn (i) der Informationsgegenstand noch der rechtmäßigen Kontrolle des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses unterliegt und (ii) keine Rechtfertigung für die zum Erlangen des Geschäftsgeheimnisses vorgenommenen Handlungen nach § 3 Abs. 2 GeschGehG vorliegt. Die Rechtfertigung kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass er im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder eines sonstigen Vertragsverhältnisses Zugriff auf das Geschäftsgeheimnis hat.[5] Fälle des Reverse Engineering von in den Verkehr gebrachten Gegenständen scheiden mangels rechtmäßiger Kontrolle über den Informationsgegenstand jedoch unabhängig von etwaigen rechtsgeschäftlichen Beschränkungen aus.

bb) Verstoß gegen Treu und Glauben und anständige Marktgepflogenheiten

Nr. 2 enthält eine Generalklausel als Auffangtatbestand für sonstige Formen der Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses: Tatbestandsmäßig ist jedes Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheit entspricht. Der offene Tatbestand soll dem Umstand Rechnung tragen, dass – angeblich – nicht abschließend alle Handlungen festgelegt werden könnten, in denen eine Erlangung un­zulässig sei.[6]

Für den Anwender bietet dieser Wortlaut kaum Anhaltspunkte zur zuverlässigen Abgrenzung des Anwendungsbereichs. Ein Ansatzpunkt kann der Bezug zumdeutschen Lauterkeitsrecht bieten. Die Formulierung knüpft definitorisch an den lauterkeitsrechtlichen Begriff der beruflichen Sorgfalt an, wobei sich die berufliche Sorgfalt nur auf geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern bezieht. Insoweit können die im Rahmen von § 3 Abs. 2 UWG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG entwickelten Maßstäbe nicht unbesehen übernommen werden. Gegen diese Bezüge spricht aber die erforderliche autonome Auslegung der umgesetzten Regelung in Art. 4 Abs. 2 lit. b). Der europäische Gesetzgeber hat die Regeln zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse bewusst von denjenigen zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb unterschieden (Erwägungsgrund 17).

Ansatzpunkte zur Handhabung der Generalklausel ergeben sich aber aus den o.g. Regelungszielen der Richtlinie und des GeschGehG sowie der Regelungssystematik:
(i) Verhalten im Sinne der Generalklausel ist jedes Tun oder Unterlassen, das zur Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses führt.
(ii) Einen Vergleichsmaßstab für unzulässige Erlangung bietet insbesondere das Regelbeispiel in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG bei unbefugtem Zugriff auf einen vom Inhaber des Geschäftsgeheimnisses kontrollierten Informationsgegenstand.
(iii) Das Verhalten darf keine erlaubte Handlung nach § 3 GeschGehG sein, d.h. gesetzlich oder rechtsgeschäftlich gestattetes Verhalten scheidet aus.
(iv) Das Verhalten darf nicht zum Schutz eines berechtigten Interesses nach § 5 GeschGehG erfolgen, für das gesetzliche Regelbeispiele ausgeführt sind.
(v) Ein Anspruchsausschluss bei Unverhältnismäßigkeit nach § 9 GeschGehG kommt nur in Betracht, wenn ein Handlungsverbot nach § 4 bejaht wurde. Das legt für Abwägungen iRd § 4 GeschGehG nahe, zunächst einen weiten Anwendungsbereich anzunehmen, der nur punktuell wegen einer Unverhältnismäßigkeit nach § 9 GeschGehG eingeschränkt wird.
In diesem Prüfungsablauf sind jeweils die Umstände des Einzelfalls mit Blick auf die Regelungsziele des GeschGehG zu berücksichtigen.

Wesentlicher Anwendungsfall der Nr. 2 ist die Erlangung unter Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen. Versteht man das Kriterium rein lauterkeitsrechtlich, dürfte dies zwar nicht der Fall sein, denn Vertragsverstöße sind – soweit nicht besondere Umstände hinzutreten – grundsätzlich nicht mit den Mitteln der Wettbewerbsrechts sanktioniert. Der europäische Gesetzgeber hat aber bewusst die Regeln zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vom Lauterkeitsrecht unterschieden (Erwägungsgrund 17). Die Richtlinie formuliert zudem im mit § 4 GeschGehG umgesetzten Art. 4 Abs. 2 den Vorbehalt, dass das Verhalten nicht mit Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses erfolgt sein darf. Schließlich verweist die Gesetzesbegründung[7] auf Fußnote 10 zu Art. 39 Abs. 2 des TRIPS-Abkommens[8]. Diese definiert den Erwerb, die Nutzung oder die Offenbarung von geschützten Informationen an Dritte auf „eine Weise, die den anständigen Gepflogenheiten in Handel und Gewerbe zuwiderläuft“ derart, dass sie zumindest Handlungen wie Vertragsbruch, Vertrauensbruch und Verleitung umfasst und den Erwerb nicht offenbarter Informationen durch Dritte einschließt, die wussten oder grob fahrlässig nicht wussten, dass solche Handlungen beim Erwerb eine Rolle spielten.

b) Verbotene Nutzung oder Offenlegung (Abs. 2)

Abs. 2 regelt im Wesentlichen durch Verweis auf die Grundsätze zur unzulässigen Erlangung von Geschäftsgeheimnissen Fälle, in denen die Nutzung oder Offenlegung verboten ist: Die Nutzung und Offenlegung unzulässig erlangter Geschäftsgeheimnisse ist stets unzulässig. Die Nutzung und Offenlegung zulässigerweise erlangter Geschäftsgeheimnisse kann unter weiteren Voraussetzungen ein Handlungsverbot auslösen.

aa) Verbotene Erlangung durch eigene Handlung (Nr. 1)

Handlungsverboten unterliegt der Umgang mit Geschäftsgeheimnissen, die durch eine eigene unbefugte Handlung nach § 4 Abs. 1 GeschGehG erlangt wurden. Dies entspricht § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG a. F. Die unrechtmäßige Erlangung führt somit dauerhaft dazu, dass die handelnde Person bezogen auf das Geschäftsgeheimnis für die anschließende Nutzung und Offenlegung dem Handlungsverbot unterliegt.[9]  Davon unabhängig bleibt auch dem Rechtsverletzer die Möglichkeit, ein Geschäftsgeheimnis durch Entwicklung oder Erwerb von Dritten rechtmäßig zu erwerben und auf dieser Grundlage zu nutzen. Ob ein Dritter ein Geschäftsgeheimnis, das ein anderer unrechtmäßig offengelegt hat, erlangen und/oder seinerseits nutzen darf, ist keine Frage von Abs. 2 Nr. 1, sondern von Abs. 3.

bb) Verstoß gegen Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung (Nr. 2)

Nr. 2 regelt Fälle, in denen zwar die Erlangung rechtmäßig erfolgte, diese Berechtigung jedoch nicht oder nicht uneingeschränkt die weitere Nutzung oder Offenlegung betrifft. Das Gesetz verbietet jede Nutzung oder Offenlegung, die gegen eine Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses verstößt.

Unterschiedslos genügt jede Pflicht zur Beschränkung des Umgangs mit einem Geschäftsgeheimnis, d.h. gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Natur. Insoweit zeigt sich im Regelungszusammenhang mit § 3 Abs. 2 GeschGehG, dass anders als bei urheberrechtlich geschützten Gegenständen keine generell wirkende Exklusivität mit daraus resultierendem Rechtfertigungsbedarf für den Nutzenden besteht. Vielmehr muss zur Feststellung eines Handlungsverbotes jeweils der Verstoß gegen eine solche Verpflichtung festgestellt werden. Ein Geschäftsgeheimnis darf grundsätzlich frei verwendet werden, soweit nicht die Voraussetzungen des Handlungsverbotes vorliegen. Nur in diesem Rahmen spielen die mit § 3 Abs. 2 GeschGehG in Bezug genommenen Erlaubnisregeln eine Rolle.

Rechtsgeschäftliche Pflichten können sich durch ausdrückliche Vereinbarungen und durch schlüssiges Verhalten nach allgemeinen Regeln ergeben. Insbesondere die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses kann mit Blick auf den Schutz der berechtigten Interessen des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses gegen vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten verstoßen. Zum Arbeitsverhältnis gehören Geheimhaltung und Loyalität auch ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarungen.

Die vertragliche Verpflichtung muss rechtmäßig sein und darf insbesondere berechtigte Interessen zur Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses nicht beeinträchtigen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass nach Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie (EU) 2016/943 nicht die Nutzung von Erfahrungen und Fähigkeiten beschränkt werden darf, die Arbeitnehmer im normalen Verlauf ihrer Tätigkeit ehrlich erworben haben. Artikel 1 Absatz 3 Buchstabe c der Richtlinie (EU) 2016/943 weist außerdem darauf hin, dass auf Grund der Richtlinie keine Auferlegung zusätzlicher Beschränkungen für Arbeitnehmer in ihren Arbeitsverträgen zulässig ist, die nicht gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht auferlegt werden. Daher sind die bestehenden Grundsätze zu den Anforderungen an Verschwiegenheitsverpflichtungen sowie nachvertragliche Wettbewerbsverbote weiterhin anwendbar.

cc) Verstoß gegen Offenlegungsverbot (Nr. 3)

Die Offenlegung ist nach Nummer 3 ebenfalls unzulässig, wenn die das Geschäftsgeheimnis nutzende oder offenlegende Person gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung oder eine sonstige Verpflichtung verstößt, das Geschäftsgeheimnis nicht offenzulegen. Das betrifft insbesondere Fälle, in denen eine Person befugten Zugang zu den Geschäftsgeheimnissen nach Absatz 1 Nummer 1 hatte und somit keine rechtswidrige Erlangung vorliegt. Unter eine Vertraulichkeitsvereinbarung fällt auch die Verpflichtung von Arbeitnehmern im Arbeitsverhältnis zu Geheimhaltung und Loyalität (vgl. Ausführungen zu Nr. 2).

c) Mittelbare Verletzung (Abs. 3)

Absatz 3 regelt ein Handlungsverbot für Rechtsverletzer, die (i) das Geschäftsgeheimnis über eine andere Person erlangt haben und (ii) zum Zeitpunkt der jeweiligen Handlung bzgl des Geschäftsgeheimnisses (Erlangung, Nutzung oder Offenlegung) wissen oder wissen müssen, dass die Quelle des Geschäftsgeheimnisses dieses entgegen Abs. 2 genutzt oder offengelegt hat.

Mit einem Geschäftsgeheimnis umgehende Personen, müssen bezogen auf die Herkunft verwendeter Geschäftsgeheimnisse die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachten. Handeln sie fahrlässig („wissen müssen“), so werden sie als bösgläubig behandelt. In diesem Sinne müssen die nach den Umständen des Einzelfalls verfügbaren Informationsquellen ausgeschöpft werden. Angesichts der kaum übersehbaren Kontakte mit möglichen Geschäftsgeheimnissen in beliebigen Gegenständen sind die strengen Maßstäbe urheberrechtlicher Sorgfalt nicht übertragbar. Die Zurechnung von Informationen zur Subsumtion eines Handlungsverbots findet nach allgemeinen Regeln statt. Für die Zurechnung der Haftung eines Handelnden Rechtsverletzers zum Inhaber des Unternehmens gilt § 12 GeschGehG.

Es gibt keinen gutgläubigen Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses. Der maßgebliche Zeitpunkt für fahrlässige Unkenntnis bestimmt sich jeweils mit Blick auf einzelne Handlungen neu, z.B. für weitere jeweils stattfindende Nutzungshandlungen. Erhält der Nutzer nachträglich die zum Kennenmüssen erforderlichen Informationen, so handelt er von diesem Zeitpunkt an als Rechtsverletzer, z.B. mit Blick auf die weitere Veräußerung rechtsverletzender Produkte. Der Interessenausgleich findet insbesondere nach § 11 durch Abfindung in Geld statt. 

3. Prozessuales/Vertragsgestaltung

Prozessual handelt es sich bei den Handlungsverboten um die Voraussetzungen der Aktivlegitimation eines Anspruchstellers nach dem GeschGehG. Der Anspruchsteller hat zunächst darzulegen und zu beweisen, dass er als Inhaber des streitgegenständlichen Geschäftsgeheimnisses anzusehen ist, das der (vermeintliche) Rechtsverletzer/Anspruchsgegner erlangt, genutzt oder offengelegt hat, §§ 6 ff. GeschGehG. Die Qualifikation als Rechtsverletzer setzt voraus, dass die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung entgegen § 4 GeschGehG erfolgt, d.h. der Anspruchsteller hat grds. auch die Voraussetzungen des § 4 GeschGehG darzulegen und zu beweisen. Die Tatbestände der §§ 3 und 5 GeschGehG spielen nur insoweit eine Rolle, als sie für die Auslegung der Voraussetzungen des § 4 GeschGehG zu beachten sind.


[1] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 26; vgl. dazu auch Kiefer, WRP 2018, 910; teils wird von einer Annäherung an gewerbliche Schutzrechte gesprochen, so Apel/Walling, DB 2019, 891, 892 und 893, jeweils m.w.N.

[2] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 26.

[3] Vgl. zur Definition der Erlangung von Geschäftsgeheimnissen Rn. 54.

[4] Vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. Aufl. 2019, § 17 Rn. 33.

[5] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 27.

[6] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 27.

[7] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 27.

[8] BGBl. 1994 II S. 1438, 1730.

[9] Vgl. zum bisherigen Recht BGH, GRUR 2018, 1161, 1165 – Hohlfasermembranspinnanlage II.