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§5 GeschGehG Bearbeiter: Dr. Kay Diedrich Stand: 27.06.2019

§ 5 Ausnahmen

Die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die Verbote des § 4, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere

  1. zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien;
  2. zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen;
  3. im Rahmen der Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmervertretung, wenn dies erforderlich ist, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgaben erfüllen kann.


1. Zweck/Hintergrund

§ 5 GeschGehG regelt Ausnahmen von den Handlungsverboten des § 4 GeschGehG. Die Formulierungen greifen die Regeln zu Ausnahmen in Art. 5 auf, bestimmen aber wesentliche Abweichungen im Vergleich zur Regelungssystematik der Richtlinie: Der in Art. 5 lit. d) vorgesehene Auffangtatbestand „zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses“ findet sich nicht mehr. Stattdessen lässt der deutsche Gesetzgeber es bei der Generalklausel der Handlungsverbote, nach der ein Geschäftsgeheimnis nicht durch treuwidriges/unanständiges Verhalten erlangt werden darf, § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG. Diese Abweichungen verstehen sich vor dem Hintergrund der abweichenden Definition des Rechtsverletzers nach § 2 Nr. 3 GeschGehG: Dort wird im Sinne einer Einwendung formuliert, dass derjenige nicht Rechtsverletzer nach § 4 GeschGehG ist, der sich auf eine Ausnahme nach § 5 GeschGehG berufen kann. Der europäische Gesetzgeber definiert den Rechtsverletzer offener, als eine Person, die Geschäftsgeheimnisse auf rechtswidrige Weise erworben, genutzt oder offengelegt hat, Art. 2 Nr. 3.

Prozessual scheint die Ausgestaltung des Regelungszusammenhangs durch das GeschGehG also einen höheren Schutz für Geschäftsgeheimnisse zu vermitteln, indem der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses nur die Voraussetzungen des § 4 GeschGehG darzulegen und zu beweisen hat. Dann ist es am potenziellen Rechtsverletzer, die Voraussetzungen einer Ausnahme nach § 5 GeschGehG dazulegen und zu beweisen.

2. Tatbestand

Geschäftsgeheimnis, Erlangung, Nutzung und Offenlegung verstehen sich entsprechend dem Gebrauch der Begriffe in den übrigen Regeln des GeschGehG.[1] Eine Ausnahme von den im Übrigen tatbestandsmäßigen Handlungsverboten des § 4 GeschGehG ist immer gegeben, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung „zum Schutz eines berechtigten Interesses“ erfolgt.

Zur Ausfüllung der Generalklausel des berechtigten Interesses liefert das Gesetz zunächst nicht abschließende Regelbeispiele für Fälle berechtigter Interessen, deren Verfolgung im Zusammenhang mit einer nach § 4 GeschGehG tatbestandsmäßigen Handlung zur Ausnahme führt. Voraussetzung ist stets, dass der Umgang mit dem Geschäftsgeheimnis zumindest auch zu dem berechtigten Interesse erfolgt. Insoweit kommt es auf die subjektiven Merkmale des Handelnden an. Mit Blick auf diese subjektiven Elemente stellt der europäische Gesetzgeber klar, dass auch im Falle eines Irrtums derjenige eine Ausnahme vom Handlungsverbot in Anspruch nehmen kann, der „allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass sein Verhalten den“ Kriterien entspricht.[2]

a) Freie Meinungsäußerung (Nr. 1)

Die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit betrifft die grundrechtlich geschützten Möglichkeiten zur Äußerung einer Meinung und zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs, Art. 5 GG, Art. 11 Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zunächst ist der Umgang mit Meinungen im Sinne vertretener Bewertungen von Geschäftsgeheimnissen zu unterscheiden, die regelmäßig tatsächliche Inhalte beschreiben.

Diese Rechte zur freien Meinungsäußerung werden aber nur im Rahmen ihrer Schranken gewährt, d.h. beispielsweise eine schädliche Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses kann nur dann unter die Ausnahme des § 5 GeschGehG fallen, wenn sie zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich erscheint. Entsprechendes gilt für Informationsrechte.

Speziellen Schutz wollte der europäische Gesetzgeber den Medien, investigativem Journalismus und dem journalistischen Quellenschutz zusprechen.[3]

b) Aufdeckung von Fehlverhalten / Whistleblower (Nr. 2)

Mit umfassendem Anwendungsbereich sollen Handlungen im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Fehlverhalten für ein berechtigten Interesse genügen, wenn der Umgang mit dem Geschäftsgeheimnis geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. In Vorfassungen war zunächst noch eine Absicht des „Whistleblowers“ gefordert worden, „das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen“. Der Schutz der Ausnahme sollte aber nach dem schließlich in Kraft getretenen Wortlaut ausdrücklich auch für solche Personen eingreifen, deren Verhalten durch eine Mischung mehrerer Absichten veranlasst war (z.B. Verärgerung über den Arbeitgeber und Schutz der Allgemeinheit).[4] Dadurch ist eine grds. sehr weit reichende Ausnahme und damit Rechtfertigung für den Umgang mit fremden Geschäftsgeheimnissen geschaffen, der teils als unausgewogen kritisiert wurde.[5] Auch insoweit ist eine Erforderlichkeit mit Blick auf die Verfolgten Ziele und den Umgang mit dem Geschäftsgeheimnis darzulegen.

Entsprechend sind die Offenlegungen von Arbeitnehmern gegenüber der Arbeitnehmervertretung legitime Interessen, wenn dies erforderlich ist, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgaben erfüllen kann. Arbeitnehmervertretungen sind insoweit die nach nationalem Recht bestimmten Personen und Gremien (z.B. Betriebsräte).

Für Arbeitnehmer bleibt aber nach den im Gesetzgebungsverfahren noch aufgenommenen Regeln des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GeschGehG (Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis bleiben unberührt), dass der bislang in der Rechtsprechung des EGMR und des BAG vorgenommene Interessenausgleich weiter zu erfolgen hat. Danach sind insbesondere die Vertraulichkeits- und Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers zu beachten. Informationen müssen zunächst innerbetrieblichen Stellen gegeben werden. Nur wenn das eindeutig nicht möglich oder nicht erfolgversprechend ist, kann der Arbeitnehmer als letztes Mittel an die Öffentlichkeit gehen. Insoweit ist eine Verhältnismäßigkeitsabwägung vorzunehmen.[6] Je weiter solche Systeme als Teil allgemeiner Compliance Management-Systeme verbreitet sind, umso eher wird nach den vorgenannten Maßstäben das Fehlen einer solchen internen Informationsmöglichkeit dazu führen, die Veröffentlichung der Information als gerechtfertigt anzusehen. 

Unternehmen ist schon deshalb die Einrichtung einer internen (anonymen) Whistleblowing Hotline zu empfehlen, um die Risiken einer durch § 5 Nr. 2 GeschGehG gedeckten Veröffentlichung zu reduzieren.[7]

Zudem lassen sich aus der Regelungssystematik des Gesetzes Rückschlüsse auf die Auslegung der Handlungsverbote und Ausnahmen ziehen. So beschreiben die erlaubten Handlungen allgemein Verhaltensweisen, die unabhängig von ihrem Zweck im Markt im Umgang mit Geschäftsgeheimnissen erlaubt bleiben sollen. Demgegenüber beschreiben die Ausnahmen besondere Sachverhaltskonstellationen, in denen grds. verbotenes Verhalten gerechtfertigt sein kann.

Beispielsweise wäre eine im Sinne des § 4 GeschGehG tatbestandliche unbefugte Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses durch einen Zugriff auf und das Kopieren von geschützten Bereichen eines im Intranet nur beschränkt zugänglich gemachten Speicherbereichs durch eine dafür nicht legitimierte Person gegeben. Erfolgen die Handlungen zum Eigennutz oder für eine potenzielle Weitergabe der Geschäftsgeheimnisse an einen Erwerber am Markt, bleibt es beim Handlungsverbot. Erfolgt die Handlung jedoch zur Aufdeckung rechtswidriger Handlungen, so liegt ein legitimes Interesse vor, das die Qualifikation der handelnden Person als Rechtsverletzer ausschließt, § 2 Nr. 3 GeschGehG.

3. Prozessuales/Vertragsgestaltung

Der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses trägt die Beweislast für die Voraussetzungen des Handlungsverbots nach § 4 GeschGehG, d.h. auch dafür, dass der (vermeintliche) Rechtsverletzer unbefugt gehandelt hat.

Will sich der (vermeintliche) Rechtsverletzer unter Verweis auf legitime Interessen gegen eine Inanspruchnahme verteidigen, hat er darzulegen und zu beweisen, dass er zum Schutz eines legitimen Interesses gehandelt hat. Dazu wird er neben Aussagen zu seinen Zielen im üblichen Maße Tatsachen unter Beweis stellen müssen, die mit diesen Zielen im Einklang stehen (z.B. die Kontaktaufnahme mit einem Journalisten, entsprechende Gespräche mit Arbeitnehmervertretungen).


[1] Vgl. zu den Definitionen unter Rn. a) ff., 54 ff.

[2] Vgl. Erwägungsgrund 20.

[3] Vgl. Erwägungsgrund 19.

[4] Vgl. BT-Drucks. 19/8300, S. 14 f.

[5] Vgl. Überblick bei Fuhlrott/Hieramente, DB 2019, 967, 967 m.w.N; Apel/Walling, DB 2019, 891, 897 m.w.N.

[6] Vgl. EGMR vom 21.07.2011 – 2827/08, NJW 2011 S. 3501, 3503; Fuhlrott/Hieramente, DB 2019, 967, 969 m.w.N.

[7] Eine Pflicht zur Einrichtung solcher Möglichkeiten enthält ein aktuell im Rahmen des Entwurfs der Whistleblowing-Richtlinie vorgeschlagene Formulierung, COM/2018/218 final – 2018/016 (COD) vom 24.04.2018.