- DE
- EN
Die Ansprüche nach den §§ 6 bis 8 Absatz 1 sind ausgeschlossen, wenn die Erfüllung im Einzelfall unverhältnismäßig wäre, unter Berücksichtigung insbesondere
§ 9 GeschGehG stellt die Ansprüche nach §§ 6 bis 8 Abs. 1 GeschGehG unter einen Verhältnismäßigkeitsvorbehalt.
Die Verhältnismäßigkeit war auch unter dem Regime des UWG stets Anspruchsvoraussetzung [1], aber nicht ausdrücklich kodifiziert. Allein ein Unterlassungsanspruch bestand bislang nach deutschem Recht jedenfalls im Fall der Verletzung eines absoluten Rechtes bei Vorliegen einer Widerholungsgefahr, ohne dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattfand.[2] Auch wenn ein Geschäftsgeheimnis kein absolutes Recht darstellt, wir durch § 9 GeschGehG wird nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass auch der „einfache“ Unterlassungsanspruch unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit steht.
Diese Vorschrift setzt Art. 13 Abs. 1 um.
Der Anspruchsausschluss des § 9 GeschGehG wegen Unverhältnismäßigkeit schließt den Anspruch auf Rechtsfolgenebene aus.[3] Die Verletzungshandlung bleibt als solche davon unberührt und ist weiterhin verboten.
Der Ausschluss wegen Unverhältnismäßigkeit bezieht sich auf die allgemeinen und besonderen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (nach §§ 6 und 7 GeschGehG) sowie auf den Auskunftsanspruch nach § 8 Abs. 1 GeschGehG. Die übrigen Ansprüche nach diesem Gesetz bleiben unberührt, unterliegen aber dem Missbrauchsverbot des § 14 GeschGehG.
Der Wortlaut dieser Vorschrift sagt nichts darüber, auf welcher Seite, also des Verletzers oder des Verletzten, die genannten Kriterien Berücksichtigung finden sollen. Da aber von einer Unverhältnismäßigkeit der Erfüllung die Rede ist, spricht vieles dafür, grundsätzlich den Erfüllungsaufwand auf Seiten des Verletzers und die aufgelisteten Kriterien auf Seiten des Verletzten zu berücksichtigen. Die offene Formulierung, der lediglich beispielhafte Charakter der aufgezählten Kriterien und die verschiedentlichen Inhalte hingegen sprechen richtigerweise dafür, die Kriterien auf beiden Seiten der Abwägung zu berücksichtigen.
§ 9 GeschGehG listet nunmehr einige Kriterien auf, die bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Diese Auflistung ist jedoch, was durch die Formulierung „insbesondere“ deutlich wird, nicht abschließend zu verstehen. Eine ähnliche Regelung existiert bereits im Urheberrecht, § 98 Abs. 4 UrhG. Dort sind jedoch allein die berechtigten Interessen Dritter, hier Nr. 6, ausdrücklich als Abwägungskriterium genannt.
Hier ist der wirtschaftliche Wert des Geschäftsgeheimnisses zu betrachten. Ein hoher Wert des Geheimnisses spricht für das Interesse des Verletzten, die Ansprüche geltend zu machen. Ein geringer Wert hingegen soll im Einzelfall dazu führen, dass umfangreiche oder sehr teure Rückrufmaßnahmen als unverhältnismäßig zu beurteilen sein können.[4] Dabei muss jedoch schon ein grobes Missverhältnis bestehen, denn das Gesetz soll den des Geschäftsgeheimnisinhabers verbessern.[5]
Die vom Inhaber des Geschäftsgeheimnisses getroffenen Geheimhaltungsmaßnahmen sind bei Abwägung zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei nur geringfügigen Schutzmaßnahmen im Einzelfall eine Unverhältnismäßigkeit gegeben sein kann.[6] Im Umkehrschluss bedeutet das, dass je höher die Schutzmaßnahmen sind, desto schwerer eine Verletzung dieses Schutzes wiegt.
In Nr. 3 wird ein subjektives Element auf Seiten des Rechtsverletzers berücksichtigt. Hier werden also Komponenten, die sonst beim Verschulden eine Rolle spielen, in die Verhältnismäßigkeitsprüfung mit einbezogen.
Wenn die Verletzung zum Beispiel auf einer fahrlässigen Unkenntnis der rechtswidrigen Nutzung beruht, sollen umfangreiche oder teure Rückrufe als unangemessen beurteilt werden können.[7]
Auch das nachträgliche Verhalten des Rechtsverletzers, nachdem er mit der Verletzung konfrontiert wurde, kann danach berücksichtigt werden. Wenn er sich kooperativ zeigt und möglicherweise schon freiwillig Maßnahmen zur Unterlassung oder Beseitigung ergreift, ist dies zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Hier kann auf den strafprozessualen Rechtsgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs zurückgegriffen werden.[8] In § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB ist geregelt, dass ein Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, zu seinen Gunsten bei der Strafzumessung Berücksichtigung findet. Nach dieser Wertung wäre es zu Gunsten des Rechtsverletzers zu berücksichtigen, wenn er sich darum bemüht, die Folgen der Rechtsverletzung auszugleichen.
Folgen einer rechtswidrigen Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses können wirtschaftliche Einbußen des Verletzten sein. Gleichsam kann auch ein Reputationsschaden entstehen. Dies wäre denkbar, wenn ein neuartiges Produkt als erstes von dem Rechtsverletzer am Markt angeboten wird, sodass der Markt diesen als Entwickler oder Erfinder des Produktes ansieht. Eine solche Anschauung in der Öffentlichkeit kann möglicherweise auch dann fortbestehen, wenn der Vertrieb durch den Verletzer unterbunden wird und das Produkt nunmehr vom Verletzten angeboten wird. Dieser wird möglicherweise als „Nachahmer“ empfunden, obwohl dies objektiv nicht der Fall ist. Freilich wird die Darlegung eines solchen Schadens, um ihn zum Gegenstand der Abwägung machen zu können, nur mit hohem Aufwand möglich sein. Eine genaue Bezifferung ist allerdings für eine umfassende Abwägung gerade nicht erforderlich, vielmehr reicht es, dass die Gesamtumstände einen solchen Schaden erkennen lassen.
Als berechtigtes Interesse kommt jedes von der Rechtsordnung gebilligte Interesse, sei es materiell oder ideell, in Betracht.[9]
So kann beispielsweise der Anspruch auf Rückruf und Vernichtung unverhältnismäßig sein, wenn ein Produkt lediglich deswegen als rechtsverletzendes Produkt gilt, weil im Rahmen der Werbung für das Produkt eine Rechtsverletzung erfolgt ist.[10]
Die berechtigten Interessen Dritter, die mit den rechtsverletzenden Produkten in Berührung sind, weil sie diese beispielsweise zur Nutzung oder zur Weiterverarbeitung erworben haben , sind ebenfalls zu berücksichtigen. Es wäre denkbar, dass Dritte auf die Nutzung der rechtsverletzenden Produkte angewiesen oder Besitzer der im Eigentum des Rechtsverletzers stehenden Produkte sind.[11] In einem solchen Fall könnte aber ein Angebot des Verletzten in Betracht kommen, im Austausch dem betroffenen Dritten ein eigenes Produkt anzubieten und so den berechtigten Interessen des Dritten Genüge zu tun.
Das Interesse eines Dritten, nicht einer Strafverfolgung ausgesetzt werden, stellt kein berechtigtes Interesse dar, das zum Ausschluss des Auskunftsanspruches nach § 8 Abs. 1 GeschGehG führen könnte.[12]
Die Hürden für die Annahme eines öffentlichen Interesses an der Rechtsverletzung dürften sehr hoch sein. Es gibt eine Vielzahl spezialgesetzlicher Regelungen, wie z.B. § 13 PatG, § 24 PatG, § 20 GebrMG, nach denen der Schutzumfang des jeweiligen Schutzrechtes durch ein öffentliches Interesse eingeschränkt wird. Danach wird bei einem öffentlichen Interesse an der Nutzung eines Schutzrechtes der Inhaber gezwungen, die Nutzung durch Dritte im Rahmen einer Zwangslizenz zu gestatten. Dies erfolgt jedoch in einem geordneten Verfahren und kann nicht von dem Dritten durch eigenmächtiges Handeln erreicht werden.
Auf Seiten des Geheimnisinhabers kommt ein öffentliches Interesse eher in Betracht. Darunter fällt die Berücksichtigung der mit dem Geschäftsgeheimnis zusammenhängenden Arbeitsplätze, der öffentliche Nutzen des Betriebes des Geheimnisinhabers (z.B. Lebensmittelversorgung, Bereitstellung kritischer Infrastruktur).
Außerdem fällt die Aufrechthaltung und Durchsetzung der Rechtsordnung unter öffentliches Interesse [13], was für die Durchsetzung der Ansprüche des Verletzten spricht.
Die Formulierung „insbesondere“ lässt erkennen, dass die aufgezählten Kriterien nur beispielhaft sind und durchaus auch weitere, nicht ausdrücklich genannte Kriterien in den Abwägungsprozess einzubeziehen sind. Es ist also stets eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Art. 13 Abs. 1 lit. h nennt noch ausdrücklich den Schutz der Grundrechte. Diese verkörpern nach deutschem Rechtsverständnis grundlegende objektive Wertentscheidungen, die bei verfassungskonformer Auslegung aller Rechtsnormen zu berücksichtigen sind, [14] sodass eine explizite Erwähnung nicht erforderlich ist.
[1] BGH, GRUR 2003, 628, 630 – Klosterbrauerei; BGH, GRUR 1999, 504, 506 – Implantatbehandlung; Fritzsche in: MüKoUWG § 8 Rn. 147; Bornkamm in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG § 8 Rn. 1.67.
[2] Ohly, GRUR 2019, 441, 449.
[3] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 31.
[4] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[5] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 19.
[6] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[7] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[8] Vgl. zur Abwägung über die Entbehrlichkeit einer Abmahnung BAG, NZA 2015, 294 Rn. 35.
[9] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[10] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[11] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[12] Vgl. § 8 Rn. 8.
[13] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 32.
[14] Schubert in: MükoBGB, 8. Aufl. 2019, § 242 Rn. 53.