§ 89b HGB – Neukunde trotz bestehender Geschäftsbeziehung

Einem Handelsvertreter kann bei Beendigung der Geschäftsbeziehung auch dann ein Ausgleichsanspruch gemäß § 89b HGB zustehen, wenn er für Waren, mit deren Vertrieb ihn der Unternehmer beauftragt hat, Kunden geworben hat, mit denen der Unternehmer bereits wegen anderer Waren eine Geschäftsverbindung hatte (EuGH, Urt. vom 07.04.2016).

Hintergrund

Gemäß § 89b Abs. 1 HGB kann ein Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertrages erhebliche Vorteile hat. Der Werbung eines neuen Kunden steht die wesentliche Erweiterung einer Geschäftsbeziehung gleich, wenn diese wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht.
Die Vorschrift geht zurück auf die Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG vom 18.12.1986), die in Art. 17 Abs. 2 eine § 89b HGB entsprechende Regelung enthält.

Der Entscheidung zugrunde liegender Sachverhalt

In dem vom EuGH entschiedenen Fall war ein Handelsvertreter für einen Hersteller mit dem Vertrieb von Brillen bestimmter Marken betraut. Der Hersteller hatte ihm zu diesem Zweck eine Liste mit Abnehmern zur Verfügung gestellt, mit denen er bereits für Brillen anderer Marken Geschäftsverbindungen unterhielt. Der Handelsvertreter vermittelte den Verkauf der ihm zugewiesenen Marken an diese Bestandskunden. Nach Beendigung des Handelsvertretervertrages machte er einen Anspruch aus § 89b HGB geltend, da es sich trotz der bereits bestehenden Geschäftsbeziehung um „neue“ Kunden gehandelt habe.

Auslegung des Neukundenbegriffes

Der EuGH zog zur Auslegung des Neukundenbegriffs den Sinn und Zweck der Richtlinie heran. Zum Schutz des Handelsvertreters müssten seine Verdienste beim Zustandekommen der ihm anvertrauten Geschäfte vollständig berücksichtigt werden. Der Begriff „neuer Kunde“ dürfe demnach nicht eng ausgelegt werden. Wenn ein Handelsvertreter nur mit einem Teil der Warenpalette eines Unternehmers betraut sei, schließe der Umstand, dass der Unternehmer mit einem Kunden bereits wegen anderer Waren Geschäftsverbindungen unterhält nicht aus, dass diese Person als von diesem Handelsvertreter geworbener neuer Kunde anzusehen sei.
Es komme allein darauf an, dass durch Bemühung des Handelsvertreters eine Geschäftsbeziehung zwischen Kunden und Unternehmer für solche Waren begründet wurde, mit denen der Handelsvertreter beauftragt wurde. Die Beauftragung eines Handelsvertreter mit dem Vertrieb neuer Waren an Bestandskunden sei Indiz dafür, dass für den Vertrieb dieser Waren die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung erforderlich sei.

Fazit

Auch Bestandskunden können „neue Kunden“ sein, wenn an sie andere als die bisherigen Produkte vertrieben werden.

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