Abwerbeverbote neuerdings im Fokus der Kartellbehörden

Medienberichten zufolge hat die europäische Kommission am 20. November zwei Standorte von Online-Bestell- und Lieferplattformen für Mahlzeiten und Lebensmittel durchsucht. Betroffen sind offenbar das börsennotierte Unternehmen Delivery Hero SE mit Sitz in Berlin sowie seine Spanische Unternehmung Glovo (reuters).

Hervorzuheben ist, dass die europäische Kommission ihren Anfangsverdacht offenbar (zumindest auch) auf den Verdacht der Vereinbarung sog. Abwerbeverbote stützt (engl. non poaching agreements / non solicitation agreements). Dies meint Abreden des Inhalts, dass man von einer gezielten Abwerbung der Angestellten des jeweils anderen Unternehmens Abstand nimmt. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels kommt dieser Thematik natürlich eine hohe Relevanz zu.

Zwar hatte die Wettbewerbskommissarin bereits vor einiger Zeit angekündigt, sich Abwerbeverbote künftig vermehrt unter kartellrechtlichen Aspekten anschauen zu wollen. Soweit ersichtlich sind dies jedoch die ersten Durchsuchungen, die (auch) auf diesen möglichen Vorwurf gestützt werden.

In der kartellrechtlichen Debatte spielen Abwerbeverbote in Deutschland und Europa bislang praktisch keine Rolle. In den USA hingegen gab es bereits mehrere größere Verfahren, die sich insbesondere gegen Big Techs wandten. Diese hatten untereinander u.a. Unterlassungsvereinbarungen des Inhalts geschlossen, auf das sog. „cold calling“, also eine Abwerbung von Fachkräften im Wege der Direktansprache, zu verzichten.

In Deutschland gibt es bislang nur vereinzelte Entscheidungen zu Abwerbeverboten, zuletzt etwa ein Urteil des BGH aus dem Jahre 2014 zu § 75f HGB (die sog. Sperrabrede), wobei mögliche kartellrechtliche Normen (§ 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV) nicht betrachtet wurden (BGH, Urt. v. 30. April 2014, I ZR 234/12). Überhaupt scheint es, dass Abwerbeverbote in Deutschland eher unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten erörtert werden, etwa mit Rücksicht auf die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, die nicht über Gebühr eingeschränkt werden dürfe (Art. 12 GG), oder das UWG.

Unter der kartellrechtlichen Brille werfen Abwerbeverbote diverse Fragen auf, die hier zumindest überschlägig skizziert werden sollen.

  • Zunächst ist zu klären, ob die beteiligten Unternehmen als Wettbewerber anzusehen sind, was zu bejahen sein dürfte. Denn tatsächlich dürfte der Wettbewerb um Fachkräfte oder gar „die besten Köpfe“ nicht weniger bedeutsam oder valide sein, als der Wettbewerb um geeignete Dienstleistungserbringer, Lieferanten oder Abnehmer von Rohstoffen, Industrieprodukten oder anderen Waren.
  • Es gibt den kartellrechtlichen Grundsatz, dass „nicht spürbare“ Wettbewerbsbeschränkungen nicht vom Kartellverbot erfasst werden und daher zulässig sind (hier). Entscheidend sind insoweit die Marktanteile der Beteiligten. Liegen diese bei Wettbewerbern unter 10% (und liegt keine sog. Kernbeschränkung, etwa eine Preisabsprache vor), entfällt die Spürbarkeit. Das Verhalten ist also zulässig. Würde man die bisherige Dogmatik zur fehlenden Spürbarkeit schlicht auf einen (hypothetischen) „Markt für Personalbeschaffung“ übertragen, wären Abwerbeverbote wohl nur in den seltensten Fällen spürbar und bedürften daher keiner vertieften kartellrechtlichen Auseinandersetzung. Denn tatsächlich ist die Nachfrage nach „Personal“ (selbst bei enger Betrachtung der konkreten Anforderungsprofile) extrem zersplittert. Selbst Großkonzerne und damit „starke Arbeitgeber/Nachfrager“ dürften den relevanten Schwellenwert häufig nicht erreichen. Abwerbeverbote wären damit in der Regel nicht spürbar, was der Bedeutung dieses „Marktes“ bzw. dieses Wettbewerbsparameters aber nicht gerecht werden dürfte.
  • Unabhängig vom Aspekt der Spürbarkeit stellt sich die Frage, ob Abwerbeverbote immerhin in bestimmtem Umfang kartellrechtlich zulässig sein müssen. Denkbar wäre etwa – in Anlehnung an die sog. „Nebenabredendoktrin“ (engl. „ancillary restraints doctrine“) – jedenfalls solche Abreden vom Kartellverbot auszunehmen und damit zu legalisieren, die für die konkrete und im Übrigen rechtmäßige Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Unternehmen „unerlässlich“, d.h. unbedingt notwendig, sind. Dies würde sich wunderbar in die nicht unübliche Praxis bei Unternehmensverkäufen einfügen, dem Verkäufer ein zeitlich begrenztes Abwerbeverbot aufzuerlegen. Dies gilt ebenso für Abreden bei der zeitlich begrenzten Projektarbeit zwischen Unternehmen, die ein enges Zusammenwirken von Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen, teils auch an ein und demselben Ort, erfordern. Das Bedürfnis nach einem Schutz der eigenen personellen Ressourcen ist in diesen Fällen nicht nur nachvollziehbar, sondern unabdingbar für diese Form des wirtschaftlichen Tätigwerdens.

Es bleibt abzuwarten welche Verhaltensweisen die Europäische Kommission schließlich konkret aufgreifen und in den Fokus ihrer Ermittlungen stellen wird. In jedem Fall sollten Abwerbeverbote künftig noch kritischer darauf hin untersucht werden, ob sie in der gewählten Form und Dauer (vertraglich und nachvertraglich) tatsächlich unbedingt notwendig sind.

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