BGH, Urteil vom 20.11.2018, II ZR 12/17
Seit der Reform des GmbH-Rechts durch das MoMiG vor gut zehn Jahren sind reichlich höchstrichterliche Entscheidungen zu der Gesellschafterliste ergangen. Für viele dieser Urteile lässt sich kurz zusammenfassen: Man kann die praktische Bedeutung der Gesellschafterliste kaum überschätzen. Erstmals hat sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 20.11.2018 (II ZR 12/17) jetzt mit der Frage beschäftigt, ob die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG auch dann besteht, wenn die "Veränderung" im Gesellschafterbestand auf die Einziehung eines Gesellschaftsanteils zurückgeht.
I. Was war passiert (Sachverhalt gekürzt und vereinfacht)?
Die betroffene GmbH hatte ursprünglich drei Gesellschafter. Der Kläger als Gesellschafter 1 hielt einen Anteil von 62.000 Euro (31 %), Gesellschafter 2 einen Anteil von 40.000 Euro (20 %) und Gesellschafter 3 einen Anteil von 98.000 Euro (49 %).
Am 05.03.2014 übertrug der Gesellschafter 2 seinen Anteil an den Kläger. Eine aktualisierte Gesellschafterliste, in die der Kläger mit einem Anteil von 102.000 Euro eingetragen war, wurde erstellt, aber erst am 13.03.2014 in das Handelsregister aufgenommen.
Zwischenzeitlich, am 07.03.2014, wurde in einer Gesellschafterversammlung die Einziehung der Geschäftsanteile des Gesellschafters 2 beschlossen. Diese Einziehung wurde später durch Urteil als rechtmäßig bestätigt. Eine aktualisierte Gesellschafterliste erschien jedoch erst am 15.08.2016 im Handelsregister.
Am 23.07.2014 hielten der Kläger und der Gesellschafter 3 als verbliebene Gesellschafter eine Gesellschafterversammlung ab. Gesellschafter 3 übernahm die Versammlungsleitung. Bei der Zählung der Stimmen berücksichtigte er die Stimmen des Klägers nur in Höhe von 62.000 Euro.
Der Kläger ist der Ansicht, Gesellschafter 3 hätte bei der Beschlussfeststellungneben seinem ursprünglichen Geschäftsanteil auch den Anteil 2 berücksichtigen müssen, den er von Gesellschafter 2 erworben hatte. Die Gesellschafterliste, in der die Einziehung des Anteils von Gesellschafter 2 berücksichtigt wurde, sei ja erst nach der Gesellschafterversammlung in das Handelsregister aufgenommen worden. Folglich seien die gefassten Beschlüsse, soweit er gegen sie gestimmt habe, aber seine zusätzlichen Stimmen nicht gezählt worden seien, nichtig.
Der BGH gelangt mit der Vorinstanz, dem OLG Köln, zu der Einschätzung, dass die formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG auch bei Einziehung des Anteils bestehe. Die unterbliebene Berücksichtigung der Stimmen des Klägers führe zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse.
II. Argumentation des BGH
Nach § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG gilt "im Verhältnis zur Gesellschaft im Fall einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung als Inhaber eines Geschäftsanteils nur, wer als solcher in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist."
Bislang war umstritten, ob unter Veränderung auch die Einziehung eines Geschäftsanteils zu verstehen ist. Denn durch die Einziehung (§ 31 GmbHG) entfällt der Geschäftsanteil, aus dem die Rechte des Gesellschafters folgen, schon ab dem Zeitpunkt des Einziehungsbeschlusses. Die Zahl der stimmberechtigten Anteile sinkt und das Stimmgewicht der Gesellschafter untereinander verändert sich.
Der BGH hat nun klargestellt, dass auch in diesem Fall die formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste ausschlaggebend ist und nicht die materielle Rechtslage. Bei der Neufassung des § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG habe der Gesetzgeber absichtlich das Wort "Veränderung" benutzt, anders als in § 16 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 GmbHG, in denen auf den Erwerb, d.h. auf die rechtsgeschäftliche Übertragung, abgestellt wird. § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG sei damit weiter und umfasse auch die Einziehung des Geschäftsanteils, die wirtschaftlich vergleichbar sei mit anderen Tatbeständen, die eine Veränderung herbeiführen.
Gesellschafterbeschlüsse, die unter Mitwirkung des unrichtig noch in der Gesellschafterliste geführten Gesellschafters gefasst wurden, sind auch nach Korrektur der Gesellschafterliste nicht wegen dessen Mitwirkung anfechtbar oder nichtig. Gleiches gilt nun auch umgekehrt: Wird ein Gesellschafterbeschluss ohne Mitwirkung eines formal legitimierten Gesellschafters gefasst, so ist dieser nichtig, unabhängig von der materiellen Rechtslage.
Eine Grenze findet die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste in Treu und Glauben. Diese Grenze wird jedoch nur überschritten, wenn die Einziehung evident wirksam und dies dem Kläger auch bewusst ist. Dies war jedoch vorliegend nicht der Fall, da die Wirksamkeit der Einziehung zwischen den Parteien streitig war und durch Urteil geklärt werden musste.
III. Konsequenzen für die Praxis
Wird es nun zu einem Wettlauf zwischen Gesellschaft und Gesellschafter kommen, weil die Gesellschaft möglichst rasch die Änderung in die Gesellschafterliste eintragen möchte, der von der Einziehung betroffene Gesellschafter diese Änderung womöglich zu verhindern sucht? Der BGH sieht hierin keine große Gefahr und verweist die Betroffenen auf die Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes.
Diese Entscheidung des BGH macht einmal mehr deutlich, wie groß die Bedeutung der Gesellschafterliste ist und wie schwerwiegend Versäumnisse der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter sich auswirken können. Gesellschafter und Gesellschaft sollten daher alles daransetzen, die Liste stets aktuell und richtig zu haten, um nicht die Wirksamkeit von Beschlüssen zu gefährden.