Die Einziehung eines noch bestehenden Gesellschaftsanteils ist auch dann noch möglich, wenn er aus der Gesellschafterliste gelöscht wurde.
BGH v. 10. November 2020, II ZR 211/19
Mit dieser Entscheidung endet erneut ein Gesellschafterstreit vor dem höchsten deutschen Zivilgericht, bei dem es im Kern um eine konfliktbehaftete Gesellschafterliste geht. Der BGH nimmt Stellung zur formellen Legitimationswirkung und legt erneut dar, dass die Gesellschafterliste eine wichtige Funktion erfüllt, im Ergebnis allerdings nicht die wahre Rechtslage überlagert. (Vgl. dazu auch Blogeintrag v. 16.10.2019)
I. Leitsatz
„Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist durch die negative Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht gehindert, einen nach einem möglicherweise fehlgeschlagenen Einziehungsversuch aus der Gesellschafterliste entfernten, aber materiell bestehenden Geschäftsanteil aus einem in der Person des materiell berechtigten Gesellschafters liegenden wichtigen Grund einzuziehen.“
II. Sachverhalt (vereinfacht)
Der Kläger gründete mit einem Mitgesellschafter die beklagte GmbH. Einige Zeit später beschloss die Gesellschafterversammlung die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers. Die von der Geschäftsführung daraufhin eingereichte neue Gesellschafterliste führte nur den Gesellschaftsanteil des Mitgesellschafters auf. Der Gesellschaftsanteil des Klägers war durchgestrichen und mit dem Hinweis „nach Einziehung erloschen“ versehen. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit wurde die Nichtigkeit des Einziehungsbeschlusses gerichtlich festgestellt. Im Schwebezustand zwischen erstmaliger Einziehungdes Geschäftsanteils und gerichtlicher Entscheidung beschloss die Gesellschafterversammlung eine weitere Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers, weil dieser gepfändet worden war. Der Kläger bekämpft die Wirksamkeit des zweiten Einziehungsbeschlusses. Die Vorinstanzen gaben ihm Recht und erklärten den Einziehungsbeschluss für nichtig.
III. Die Entscheidung des BGH
Der BGH beurteilt die Rechtslage anders – und richtig. Er erläutert in seiner Entscheidung, dass die Austragung eines Geschäftsanteils aus der Gesellschafterliste einem erneuten Einziehungsbeschluss zumindest dann nicht entgegensteht, wenn Zweifel an der Wirksamkeit eines vorausgegangenen Einziehungsbeschlusses bestehen.
Die formale Gesellschafterstellung ist aufgrund der negativen Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zwar beendet. Dies wirkt sich allerdings nicht auf die materielle Rechtslage aus. „Materielle und formale Gesellschafterstellung können entkoppelt sein“. Die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG kann nicht so weit ausgedehnt werden, dass der nicht eingetragene Geschäftsanteil nicht existent ist und deswegen auch nicht Gegenstand einer Einziehung sein kann. Nach den Entscheidungen der Vorinstanzen würde die Diskrepanz zwischen materieller Rechtslage und Aussage der Gesellschafterliste konserviert. Eine zweite Einziehung wäre allein deshalb unmöglich, obwohl die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen. Der Kläger bliebe weiter Gesellschafter, obwohl materiell ein wirksamer Einziehungsbeschluss gefasst wurde. Dieses unbefriedigende Ergebnis verhindert die Entscheidung des BGH.
IV. Praxishinweis
Die sorgfältig begründete Entscheidung des BGH zeigt erneut, welche Bedeutung und Rechtswirkungen der Gesellschafterliste aufgrund der Wirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zukommt und welche Fallstricke sich dadurch für die Gesellschaft und die anwaltliche Beratung ergeben
So gilt der Gesellschafter mit seiner Eintragung in die Gesellschafterliste im Verhältnis zur GmbH als Gesellschafter. Entgegengesetzt verliert er seine Gesellschafterrechte im Verhältnis zur GmbH, wenn er aus der Gesellschafterliste ausgetragen ist. Von dieser formellen Legitimationswirkung ist die materielle Rechtslage zu unterscheiden. Eine Diskrepanz zwischen beiden tritt auch in der Praxis häufiger auf, insbesondere für kurze Dauer, bei Änderungen der Gesellschafterstruktur. So kann ein materiell Nichtberechtigter im Verhältnis zur Gesellschaft aufgrund seiner Eintragung in der Gesellschafter im Verhältnis zur Gesellschaft noch als Gesellschafter gelten. Aber auch der umgekehrte Fall ist möglich – wie der vorliegende Fall zeigt – und kann sich durchaus auch über längere Zeit hinziehen.
Obwohl zu kaum einem Problemkreis des GmbH-Rechts in der jüngeren Vergangenheit so viele höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind wie zur Gesellschafterliste (vgl. die umfangreichen Rechtsprechungsnachweise in der hier wiedergegebenen Entscheidung), sind bei weitem noch nicht alle Fragen geklärt. Der BGH lässt selbst schon anklingen, zu welchen streitigen Aspekten rund um die Gesellschafterliste er bisher noch nicht entschieden hat. Es ist also zu § 16 GmbHG noch einiges zu erwarten und die Praxisrelevanz ist hoch. Denn die Entscheidung führt einmal mehr vor Augen, welche Wirkungen die formelle Legitimationswirkung zulasten des ausgetragenen Gesellschafters entfaltet und wie wichtig in einer Beratungssituation zeitnahes Vorgehen gegen Einziehungsbeschlüsse und den Austausch von Gesellschafterlisten ‑ soweit möglich auch mittels einstweiliger Verfügungen ‑ ist. Im vorliegenden Fall war dem zu diesem Zeitpunkt noch materiell berechtigten Kläger über Jahre die Ausübung seiner Gesellschafterrechte verwehrt.