Pflicht zur Entschädigung bei fehlender Zustimmung des Integrationsamtes

Gemäß § 168 SGB IX ist für die Wirksamkeit einer beabsichtigten Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich. Die Vorschrift soll das besondere Schutzinteresse dieser Personengruppe berücksichtigen und insbesondere Kündigungen verhindern, die Arbeitnehmer aufgrund ihrer Schwerbehinderung benachteiligen würden.

Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kann die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung im Sinne von § 22 AGG begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21 – festgestellt. Demnach kann die fehlende Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zu einer Entschädigungspflicht des Arbeitgebers nach § 15 Abs. 2 AGG führen.

I. Sachverhalt

Der Kläger war bei dem Beklagten als Hausmeister an einer Grundschule angestellt. Aufgrund eines Schlaganfalls erlitt er eine halbseitige Lähmung und war seit dem 11.02.2018 arbeitsunfähig erkrankt. Der Beklagte kündigte Ende März/Anfang April 2018 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ohne jedoch das Integrationsamt zuvor anzuhören. Zum Zeitpunkt der Kündigung war der Kläger noch nicht behördlich als schwerbehinderter Mensch anerkannt.

Der Kläger griff die Kündigung klageweise an und verlangte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Er habe seinen Gesundheitszustand dem Beklagten am 12.02.2018 mitgeteilt, weshalb seine Schwerbehinderung dem Beklagten offenkundig gewesen sei. Aus diesem Grund hätte der Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes einholen müssen. Daher läge ein Verstoß gegen Verfahrens- bzw. Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen vor.

II. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes

Nachdem die Vorinstanzen die Klage jeweils abgewiesen hatten, entschied auch das Bundesarbeitsgericht gegen den Kläger. Er habe nicht dargelegt, dass die Kündigung eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG dargestellte. Im vorliegenden Fall sei es dem Beklagten nicht offenkundig gewesen, dass eine Schwerbehinderung beim Kläger vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht ließ es sich jedoch nicht nehmen, klarzustellen, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes aus § 168 SGB IX im Einzelfall die Vermutung der Benachteiligung des Arbeitnehmers begründen kann.

III. Konsequenzen für die Praxis

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht die vorliegende Klage abgelehnt, allerdings birgt das vorliegende Urteil dennoch ein erhöhtes Schadenspotential für die arbeitsrechtliche Praxis. Sofern die Schwerbehinderung, anders als im hier vorliegenden Fall, bereits behördlich anerkannt oder dem Arbeitgeber bekannt ist, muss vor einer beabsichtigten Kündigung in jedem Fall die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt werden. Ansonsten ist nicht nur die Wirksamkeit der Kündigung betroffen, sondern es besteht auch die Möglichkeit, dass die betroffenen Arbeitnehmer auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG klagen. Nach dem hier dargestellten Urteil müssten diese lediglich Indizien für eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung nachweisen. Der Arbeitgeber müsste sodann einen vollständigen Gegenbeweis antreten, was sich in der Praxis regelmäßig schwierig gestalten wird.

Spätestens nach diesem Urteil sollten Arbeitgeber daher stets vollumfänglich prüfen, ob eine Schwerbehinderung vorliegt. Sollten dafür Anhaltspunkte bestehen oder die Schwerbehinderung bereits bekannt sein, ist unbedingt die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Ansonsten ist nach diesem Urteil mit einer Klage des Arbeitnehmers auf Entschädigung zu rechnen.