„Grüner“ Wasserstoff, der durch Wasserelektrolyse nachweislich unter Einsatz von Strom aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt wird, gilt gerade für den industriellen Bereich als Schlüsseltechnologie auf dem Weg zu einer klimaverträglichen, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgung der Zukunft. Nichtsdestotrotz ist der gegenwärtige Rechtsrahmen für die Erzeugung, den Transport und die Speicherung von Wasserstoff mit verschiedenen Unsicherheiten und Risiken behaftet. Im vorliegenden Beitrag werden ausgewählte planungs- und genehmigungsrechtliche Problemstellungen des leitungsgebundenen Transports von Wasserstoff beleuchtet und ein möglicher Handlungsbedarf für den Gesetz- und Normgeber identifiziert.
Nutzung der bestehenden Erdgasleitungsinfrastruktur zum Transport von Wasserstoff
Genehmigungsrechtlicher Ausgangspunkt für die Nutzung einer bestehenden Erdgasleitung zum Wasserstofftransport ist § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EnWG. Nach dieser Vorschrift bedürfen die Errichtung und der Betrieb sowie die Änderung von Gasversorgungsleitungen mit einem Durchmesser von mehr als 300 Millimetern der Planfeststellung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde. Die Nutzung einer bereits existierenden Erdgasleitungsinfrastruktur zum Zwecke des Transportes von Wasserstoff kann nach gegenwärtiger Rechtslage grundsätzlich unter zwei Gesichtspunkten eine nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EnWG planfeststellungsbedürftige „Änderung von Gasversorgungsleitungen“ darstellen:
Zunächst kommt eine Umnutzung vorhandener Erdgasleitungsinfrastruktur in Gestalt einer Beimischung von Wasserstoff in Betracht. Der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EnWG ist insoweit grundsätzlich eröffnet: Gemäß § 3 Nr. 20 EnWG sind als Gasversorgungsnetze i.S.d. EnWG grundsätzlich alle Fernleitungs- und Gasverteilernetze zu qualifizieren. Als „Gas“ gilt gemäß § 3 Nr. 19 a) EnWG nicht nur Erdgas, sondern u.a. auch Biogas. Diesbezüglich regelt § 3 Nr. 10 c) EnWG, dass auch Wasserstoff, der durch Wasserelektrolyse nachweislich weit überwiegend aus Strom aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt wird, als „Biogas“ gilt. Ob der die Errichtung und Betrieb einer vorhandenen Erdgasleitung regelnde Zulassungsbescheid (einschließlich der verfügten Nebenbestimmungen und zugrunde liegenden Antragsunterlagen) eine Beimischung von Wasserstoff gestattet, ist im Einzelfall zu prüfen. Ist dies nicht der Fall, liegt eine Änderung des Leitungsbetriebs vor, die entweder nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EnWG einer vorherigen Planfeststellung bedarf oder im Fall ihrer Unwesentlichkeit (§ 43f Abs. 1 EnWG) eine bloße Anzeige erfordert. Eine nicht allein rechtliche, sondern zugleich praktisch-technische Schwierigkeit der Beimischung von Wasserstoff in ein bestehendes Erdgasnetz stellt das Erfordernis der „Netzkompatibilität“ dar. Nach dem Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW e.V.) ist die Beimischung von Wasserstoff im Erdgasnetz derzeit noch auf einen Anteil von 10 % begrenzt, wenngleich in verschiedenen Forschungsvorhaben des DVGW e.V. eine Wasserstoffverträglichkeit des Erdgasnetzes bis zu einer Konzentration von 20 % bereits bestätigt werden konnte. Die Zukunft dieser Möglichkeit zur Umnutzung vorhandener Erdgasleitungsinfrastruktur zum Wasserstofftransport erscheint gegenwärtig wenig aussichtsreich: Im vom Bundesfinanzministerium im Dezember 2020 als Entwurf vorgelegten „Deutschen Aufbau- und Resilienzplan“ wird eine Beimischung von Wasserstoff in bestehende und genutzte Erdgasnetze „aus Gründen der Energieeffizienz grundsätzlich ausgeschlossen.“
Als weitere Handlungsoption ist eine Umnutzung vorhandener Erdgasleitungsinfrastruktur als reine Wasserstoffnetze denkbar. Auch hier stellt sich nach Maßgabe von § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EnWG und § 43f Abs. 1 EnWG wieder die Frage nach dem Vorliegen einer Änderung des Leitungsbetriebs und deren Wesentlichkeit (siehe oben). Ausgehend vom Regelungsgehalt des die Errichtung und den Betrieb der Erdgasleitung zulassenden Planfeststellungsbescheids werden in der Praxis vor allem Art und Umfang der mit einer vollständigen Umstellung des leitungsgebundenen Transports von Erdgas auf Wasserstoff einhergehenden Umweltauswirkungen, mithin das Bestehen einer UVP-Pflicht, zu klären sein. Hoffnungen weckt in diesem Zusammenhang ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.02.2021, der in § 43l Abs. 1 EnWG (Entwurf) vorsieht, dass behördliche Zulassungen für die Errichtung, den Betrieb und die Änderung einer Gasversorgungsleitung für Erdgas auch als Zulassung für den Transport von Wasserstoff gilt, ohne dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
Neuerrichtung eines reinen Wasserstoffnetzes
Neben den beschriebenen Möglichkeiten zur Umnutzung von bereits existierenden Erdgasleitungen stellt sich die Frage nach den planungs- und genehmigungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Errichtung und den Betrieb vollständig neuer Wasserstofftransportleitungen. Eine Planfeststellung einer neuen Wasserstoffleitung kommt nach dem bereits Gesagten in Betracht, wenn diese als Gasversorgungsleitung i.S.d. § 43 Abs. 1 Nr. 5 EnWG angesehen werden kann. Der Begriff der Gasversorgungsleitung bestimmt sich im Ergebnis über den gesetzlich in § 3 Nr. 20 EnWG definierten Begriff des Gasversorgungsnetzes, der insbesondere Fernleitungsnetze und Gasverteilernetze erfasst (siehe oben). Entscheidend ist also, ob eine Wasserstoffleitung als Fernleitung i.S.d. § 3 Nr. 19 EnWG qualifiziert werden kann bzw. ob der Transport von Wasserstoff unter die in § 3 Nr. 37 EnWG näher definierte „Verteilung“ von Gas fällt. Diesbezüglich ist zwischen Wasserstofffernleitungen auf der einen und Wasserstoffverteilerleitungen auf der anderen Seite zu differenzieren:
Nach wohl herrschender, u.a. von der Bundesnetzagentur vertretener Ansicht unterfallen Wasserstofffernleitungen bislang nicht dem Anwendungsbereich des EnWG, da der Begriff der Fernleitung in § 3 Nr. 19 EnWG ausschließlich Hochdruckleitungen zum Transport von Erdgas erfasst. Dementsprechend ist für die Errichtung und Inbetriebnahme einer neuen Wasserstofffernleitung die vorherige Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 43 Abs. 1 Nr. 5 EnWG gegenwärtig nicht erforderlich. Diese Rechtslage ist für Projektträger nicht zwingend von Vorteil, etwa wenn für die Leitungsverlegung im Eigentum Dritter stehende Grundstücke beansprucht werden sollen. In derartigen Konstellationen können Vorhabenträger nicht von den Vorteilen der Rechtswirkungen einer energiewirtschaftlichen Planfeststellung (z.B. vorzeitige Besitzeinweisung nach § 44 b EnWG oder Enteignung nach § 45 EnWG) profitieren. Der Aufbau einer Wasserstofffernnetzinfrastruktur erfordert jedoch Planungs- und Investitionssicherheit für Netzbetreiber. Hier besteht also gesetzlicher Handlungsbedarf, zumal die im Juni 2020 vorgestellte Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung ausdrücklich die Notwendigkeit der Errichtung von Netzen zum ausschließlichen Transport von Wasserstoff im Zusammenhang mit der bedeutenden Rolle Deutschlands als Transitland in Europa betont (Nationale Wasserstoffstrategie, Juni 2020, S. 13). Abhilfe könnte hier der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.02.2021 schaffen: § 43l Abs. 2 Satz 1 EnWG (Entwurf) sieht vor, dass der Begriff der Gasversorgungsleitung sowohl in Anlage 1 Nr. 19.2 UVPG als auch in Teil 5 (§ 43 ff.) EnWG zukünftig Wasserstoffnetze umfassen soll. Zudem sollen nach § 43l Abs. 2 Satz 2 EnWG (Entwurf) zukünftig auf Antrag des jeweiligen Vorhabenträgers auch die Errichtung und der Betrieb sowie die Änderung von Wasserstoffleitungen mit einem Durchmesser von 300 Millimeter oder weniger unter entsprechender Anwendung des § 43 Abs. 1 Nr. 5 EnWG planfestgestellt werden können.
Bereits nach gegenwärtiger Rechtslage ist die Zulassung reiner Wasserstoffverteilerleitungen möglich: Da der Begriff der Verteilung i.S.d. § 3 Nr. 37 EnWG insgesamt den Transport von „Gas“ regelt, worunter nach § 3 Nr. 19 a) EnWG i.V.m. § 3 Nr. 10 c) EnWG auch Wasserstoff fällt, der durch Elektrolyse nachweislich weit überwiegend aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt wurde (siehe oben), sind Wasserstoffverteilerleitungen für grünen Wasserstoff und einem Durchmesser von mehr als 300 mm gem. § 43 Abs. 1 Nr. 5 EnWG schon nach derzeitiger Rechtslage planfeststellungsbedürftig. Insoweit könnte der Gesetzgeber die gegenwärtige planungs- und genehmigungsrechtliche Ungleichbehandlung von Wasserstofffern- und -verteilnetzen in den Bestimmungen der §§ 43 ff. EnWG durch Beschluss des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs vom 10.02.2021 beseitigen.
Fazit
Die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufbau einer „grünen“ Wasserstoffwirtschaft steht derzeit auf der Agenda des Gesetzgebers. In diesem Zusammenhang sollten auch die vorliegend aufgezeigten Regelungsdefizite im planungs- und genehmigungsrechtlichen Rechtsrahmen für die „grüne“ Wasserstofftransportinfrastruktur als solche erkannt und behoben werden. Hier könnte der bereits vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.02.2021 ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.