I. Hintergrund
Im Sommer berichteten wir an dieser Stelle über zwei Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Frankfurt (12.3.2021, Az 14 Sa 306/20 und 14 Sa 1158/20), nach denen Fahrrad-Kurieren in der Lieferdienst-Szene in Formulararbeitsverträgen nicht faktisch entschädigungslos die Pflicht auferlegt werden kann, ihr eigenes Fahrrad und ihr eigenes Smartphone (nebst Datenvolumen) zu nutzen. Denn hierbei handele es sich um wesentliche Arbeitsmittel dieser Arbeitnehmergruppe. Die Pflicht, diese selbst zu stellen, sei eine unangemessene Benachteiligung, wenn sie im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart wird.
Überraschend schnell hat sich nun das Bundesarbeitsgericht in der Revision mit dieser Entscheidung beschäftigt.
II. Entscheidung des BAG
Das Bundesarbeitsgericht bestätigt im Revisionsverfahren (Urteile vom 10. November 2021, 5 AZR 334/21 und 5 AZR 335/21) im Wesentlichen die Entscheidungen des LAG Frankfurt. Es hebt nach der bisher bekannten Pressemitteilung vom 10. November 2021 zunächst hervor, dass von dem Grundsatz, nach dem der Arbeitgeber die wesentlichen Arbeitsmittel zur Verfügung stellen muss, vertraglich abgewichen werden kann. Es stellt jedoch auch klar, dass dies im Rahmen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, was regelmäßig bei Formulararbeitsverträgen der Fall ist, nicht ohne eine angemessene finanzielle Kompensationsleistung seitens des Arbeitsgebers erfolgen kann. Sieht der Arbeitsvertrag keine angemessene finanzielle Kompensationsleistung vor, sei die Regelung insgesamt unwirksam.
Das Bundesarbeitsgericht betont, dass durch die Regelung in dem Formulararbeitsvertrag der Arbeitgeber von Anschaffungs- und Betriebskosten für wesentliche Arbeitsmittel entlastet würde und auch nicht das Risiko für Verschleiß, Wertverfall, Verlust oder Beschädigung trage. Dies widerspreche dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses.
Das BAG stuft das (nicht im Arbeitsvertrag vereinbarte) Reparaturbudget in Höhe von EUR 0,25/Arbeitsstunde als nicht angemessene Kompensationsleistung ein, da dies zum einen nicht an den tatsächlichen Verschleiß, sondern nur an die Arbeitsstunde anknüpfe. Zum anderen könne der Kläger auch nicht über das Budget frei verfügen, sondern dies nur bei einer von der Beklagten bestimmten Werkstatt einlösen. Die Beklagte ist insoweit auch nicht mit dem Argument durchgedrungen, dass die Fahrradlieferanten ohnehin über ein Fahrrad und ein internetfähiges Smartphone verfügten und daher durch die Verpflichtung, diese zu nutzen, nicht bzw. nicht erheblich belastet würden oder alternativ ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB geltend gemacht werden könnte.
III. Folgen
Das BAG hat der Beklagten letztlich ins Hausaufgabenheft diktiert, die Arbeitsverträge, jedenfalls die Arbeitsvertragsmuster, entsprechend anzupassen, um einen individuellen Aufwendungsersatzanspruch für die Zukunft zu vermeiden. Da die Änderung der bereits bestehenden Arbeitsverträge nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer möglich ist, wird es spannend zu beobachten sein, wie die Beklagte nunmehr vorgehen wird. Wie bereits das LAG hat das BAG noch ein Türchen offengelassen, indem es nicht die Möglichkeit der Vereinbarung der (genauen oder pauschalen) Kompensation in den Formulararbeitsverträgen insgesamt ausgeschlossen hat. Die Beklagte wird nun prüfen müssen, wie hoch eine Zahlung sein muss, um die wirtschaftliche Abwälzung auf den Arbeitnehmer zu kompensieren.
Nicht nur die Beklagte, sondern alle Arbeitgeber, die ähnliche Regelungen in ihren Formulararbeitsverträgen nutzen (zB auch Paketzustelldienste, „klassische“ Fahrradkuriere und weitere Lieferdienste) müssen jetzt handeln, um massenhafte Klagen zu vermeiden. Denn sollten die Formulararbeitsverträge keine Ausschlussfristen enthalten, gilt die allgemeine Verjährungsfrist aus § 195 BGB. Die Arbeitnehmer könnten dann noch bis zu drei Jahre rückwirkend (d.h. jetzt noch ab Januar 2018) entsprechende Ansprüche geltend machen.