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§3 GeschGehG Bearbeiter: Dr. Kay Diedrich Stand: 27.06.2019

§ 3 Erlaubte Handlungen

(1) Ein Geschäftsgeheimnis darf insbesondere erlangt werden durch
 

  1. eine eigenständige Entdeckung oder Schöpfung;
     
  2. ein Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands, das oder der

    a) öffentlich verfügbar gemacht wurde oder

    b) sich im rechtmäßigen Besitz des Beobachtenden, Untersuchenden, Rückbauenden oder Testenden befindet und dieser keiner Pflicht zur Beschränkung der Erlangung des Geschäftsgeheimnisses
    unterliegt;
     
  3. ein Ausüben von Informations- und Anhörungsrechten der Arbeitnehmer oder Mitwirkungs und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung.

(2) Ein Geschäftsgeheimnis darf erlangt, genutzt oder offengelegt werden, wenn dies durch Gesetz,
     auf Grund eine Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft gestattet ist.



1. Zweck/Hintergrund

Das Gesetz regelt in § 3 GeschGehG zunächst, welche Handlungen jedenfalls erlaubt sind. Dann werden die Handlungsverbote des § 4 GeschGehG definiert und in § 5 GeschGehG Ausnahmen des Verletzungstatbestands geregelt. Die erlaubten Handlungen sind ausdrücklich nicht abschließend definiert, d.h. für die rechtmäßige Erlangung gelten genannte Beispiele und für die Nutzung und Offenlegung ist ausdrücklich die Öffnung aufgrund Gesetzes oder Rechtsgeschäft vorgesehen.

Die ungewöhnliche Regelungstechnik ist aus Art. 3 und 4 der Richtlinie übernommen.  Zum Schutz vor unangemessenen Einschränkungen im Umgang mit Informationen wollte der Gesetzgeber nicht nur den Schutzbereich durch Verbotstatbestände regeln. Damit stellt sich die Abgrenzung zwischen den nicht abschließend geregelten erlaubten Handlungen und den in § 4 GeschGehG geregelten Handlungsverboten. Auch die Handlungsverbote sind nicht abschließend definiert. Vielmehr soll „jedes sonstige Verhalten, das unter den jeweiligen Umständen nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Markgepflogenheiten“ entspricht, der Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses entgegen stehen. Spiegelbildlich definiert Art. 3 Abs. 1 lit. d) jede andere Vorgehensweise als erlaubte Handlung, „die unter den gegebenen Umständen mit einer seriösen Geschäftspraxis vereinbar ist.“ Im Kern bleibt es also bei Generalklauseln, die mit Blick auf die Schutzzwecke der Regelungen auszufüllen sind.

2. Tatbestand

a) Erlaubte Erlangung (Abs. 1)

Abs. 1 enthält beispielhafte Fallgruppen („insbesondere“), in denen die Erlangung von Geschäftsgeheimnissen erlaubt ist. Erlangung ist jede – nicht notwendig rechtsgeschäftlich vermittelte – Kenntnisnahme eines Geschäftsgeheimnisses oder bei in Gegenständen verkörperten Geschäftsgeheimnissen das Ansichbringen des Gegenstands.[1] Die rechtmäßige Erlangung eines Geschäftsgeheimnisse hat grundlegende Bedeutung für den weiteren Umgang mit dem Geschäftsgeheimnis: Wer ein Geschäftsgeheimnis rechtmäßig erlangt, erfüllt nicht den Tatbestand der unbefugten Erlangung nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GeschGehG oder der treuwidrigen Erlangung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG, d.h. er ist nicht Rechtsverletzer. Die rechtmäßige Erlangung bewirkt jedoch nicht das Recht zur Nutzung oder Offenlegung. Diese Rechte können nach § 3 Abs. 2 auch demjenigen fehlen, der ein Geschäftsgeheimnis rechtmäßig mit Beschränkungen oder gutgläubig erlangt.

b) Eigenständige Schöpfung oder Entdeckung (Abs. 1 Nr. 1)

Nach Nr. 1 sind eigenständige Schöpfungen oder Entdeckungen erlaubt. Die Unterscheidung in die Begriffe Entdeckung und Schöpfung haben insoweit keine praktisch erhebliche Bedeutung. Insbesondere spielt es keine Rolle, ob weitergehende Anforderungen an eine Schöpfung zu stellen, die etwa dem Urheberrecht vergleichbar bestimmte qualitative Mindestanforderungen stellen (keine Schöpfungshöhe entsprechend § 2 Abs. 2 UrhG). Selbst die zufällige Entdeckung ohne erheblichen Entwicklungsaufwand genügt, soweit es sich um eine Information handelt, die den Anforderungen der Definition des § 2 Nr. 1 GeschGehG entspricht, insbesondere der fehlenden Zugänglichkeit und des daraus resultierenden wirtschaftlichen Wertes.

Eigenständig ist das Geschäftsgeheimnis entdeckt, wenn es nicht durch die Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses einer anderen Person erlangt wurde. Darunter fallen alle Formen der Entwicklung, Sammlung von Daten oder auch zufälligen Verhaltens. Insbesondere fordert die eigenständige Entdeckung oder Schöpfung kein zielgerichtetes Vorgehen im Sinne eines subjektiven Tatbestandes, der auf die Entwicklung gerichtet wäre.

Insbesondere wird hier die Möglichkeit mehrfachen Schutzes identischer Geschäftsgeheimnisse hervorgehoben: Identische Information kann etlichen Inhabern eines Geschäftsgeheimnisses „gehören“. Die Menge der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses darf lediglich nicht so groß werden, dass von allgemeiner Bekanntheit beim Adressatenkreis auszugehen ist (Definition Geschäftsgeheimnis, § 2 Nr. 1 lit. a) GeschGehG. Insoweit gibt es auch keine Priorität zwischen verschiedenen Inhabern eines Geschäftsgeheimnisses, die sämtlich mit identischem Schutz nebeneinander stehen.

c) Reverse Engineering (Abs. 1 Nr. 2)

Nr. 2 betrifft den praktisch bedeutsamen Fall des Reverse Engineerings, das nun – im Unterschied zum bisherigen Recht – sehr weitreichend zulässig ist. Im Sinne einer Wettbewerbsförderung ist das Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands in den geregelten Grenzen zulässig.

Immaterialgüterrechtliche Schranken des Reverse Engineerings bleiben ausdrücklich unberührt.[2] Indes gestatten auch wesentliche immaterialgüterrechtliche Regelungen (vgl. § 11 Nr. 2 PatG, § 69d Abs. 3 UrhG) grundsätzlich das Reverse Engineering. Im Gegenteil wurde bisweilen vorgeschlagen, Nachteile des Immaterialgüterschutzes über den Schutz des Geschäftsgeheimnisses zu kompensieren.[3]

Bei der Nutzung von per Reverse Engineering gewonnenen Erkenntnissen sind die lauterkeitsrechtlichen Schranken zu beachten (Erwägungsgrund 17 der Richtlinie), insbesondere § 4 Nr. 3 UWG (bei erlaubter Handlung scheidet jedoch eine unredliche Erlangung aus).

aa) Öffentlich verfügbar gemachter Gegenstand (Abs. 1 Nr. 2 lit. a)

Wenn ein Produkt oder Gegenstand öffentlich verfügbar gemacht wurde, ist die Entschlüsselung von Geschäftsgeheimnissen daraus grundsätzlich zulässig. Ein Produkt oder Gegenstand ist öffentlich verfügbar gemacht, wenn dieses ohne besondere Zugangsschranken grundsätzlich von jedermann frei beschafft werden kann (z.B. Bereitstellung einer Open Source Software im Internet).Nicht ausreichend ist die Lieferung lediglich an einen Abnehmer, die auch mit rechtsgeschäftlichen Beschränkungen verbunden werden kann.[4]

Ob das Produkt bzw. der Gegenstand ohne oder gar gegen den Willen des Inhabers des darin verkörperten Geschäftsgeheimnisses öffentlich verfügbar gemacht wurde, ist nach dem Wortlaut ohne Belang. Das belegt insbesondere der Vergleich mit § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) GeschGehG, in dem ausdrücklich auf den rechtmäßigen Besitz abgestellt wird. Im Gegensatz dazu ist in § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) GeschGehG als gleichberechtigte Alternativregelung nur objektiv auf die öffentliche Verfügbarkeit verwiesen. Anders als in Fällen der urheberrechtlichen Erschöpfung wird für das Geschäftsgeheimnis ein geringerer und insoweit nicht absolut wirkender Schutz gewährt. Der Erwerber eines öffentlich verfügbaren Produkts hat grundsätzlich die Möglichkeiten des geregelten Umgangs mit einem Produkt. Nur wenn die weiteren Voraussetzungen der „anständigen Erlangung“ nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 GeschGehG nicht erfüllt sind, wird der Umgang mit einem verfügbaren Gegenstand als Verletzungshandlung qualifiziert. Im Sinne der Sicherheit des Rechtsverkehrs muss der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses daher auch gegen sich gelten lassen, wenn ein ohne oder gegen seinen Willen in den Verkehr gebrachtes Produkt untersucht wird.

Diese Grundsätze unterscheiden sich vom vormaligen Recht: Bisher ging die Rechtsprechung für den Fall, dass ein Geschäftsgeheimnis über eine Untersuchung des in Verkehr gebrachten Produkts erschlossen werden konnte, nur dann von einer Offenkundigkeit der Informationen und damit nicht von einem geschützten Geschäftsgeheimnis aus, wenn jeder Fachmann ohne größeren Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand zur Ableitung in der Lage wäre.[5]

Das Gesetz erwähnt für öffentlich verfügbar gemachte Gegenstände (im Gegensatz zur Alternative des Buchstaben b) nicht die Möglichkeit, vertragliche Einschränkungen zu vereinbaren. Daraus ließe sich folgern, dass zumindest AGB-rechtliche Beschränkungen (abgesehen von im Einzelfall bestehenden Einbeziehungsproblemen) nach deutschem Recht als Abweichung vom gesetzlichen Leitbild unwirksam sind (§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 1 Nr. 1 BGB).[6] Individualvereinbarungen wären aber wirksam, weil das Gesetz kein explizites Verbot solcher abweichenden Vereinbarungen enthält. In diese Richtung weist die Systematik der Buchstaben a) und b), die als gleichberechtigte Alternativen nebeneinander wirken. Gegen diese Auslegung lässt sich auch nicht auf den pauschalen Vorbehalt des § 3 Abs. 2 verweisen, der umfassend auch für die Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses auf rechtsgeschäftliche Erlaubnisse verweist. § 3 Abs. 2 GeschGehG behandelt erlaubte Handlungen und nicht die Handlungsverbote.

Für eine weitergehende Möglichkeit zur rechtsgeschäftlichen Beschränkung des Reverse Engineering auch bei öffentlich verfügbar gemachten Gegenständen spricht jedoch der Verweis auf unbefugte bzw. gegen Treu und Glauben verstoßende Handlungen in § 4 Abs. 1 GeschGehG in Verbindung mit dem Zweck des Gesetzes, für einen effektiven Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Binnenmarkt zu sorgen. Es bleibt das Problem des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses, die Kenntnisse der erlangenden Person nach § 4 Abs. 3 GeschGehG zu beweisen (z.B. durch Vertragssysteme, die auch Lieferketten nachvollziehen). Gelingt dies jedoch, spricht nichts gegen die Wirksamkeit solcher Vereinbarungen. Anderenfalls wäre die Frage zu beantworten, warum dieselbe Wertung über § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) GeschGehG sogar ausdrücklich als legitim vorgesehen wurden.

Die Ausnahme betrifft eine erlaubte Handlung, die – damit sich ein potentieller Verletzer auf sie berufen kann – tatsächlich vorliegen muss. Es genügt nicht, dass sich ein Verletzer hypothetisch die Kenntnis auch im Wege des zulässigen Reverse Engineerings hätte verschaffen können, denn entsprechend der Gestaltung bei vollwertigen Schutzrechten muss der Handelnde den Rückerschließungsaufwand auch tatsächlich investiert haben, um in den Genuss des limitierten Schutzes für Geschäftsgeheimnisse zu kommen.

bb) Rechtmäßiger Besitz ohne Beschränkung (lit. b)

Von den öffentlich zugänglich gemachten Gegenständen werden solche unterschieden, die nur bestimmten Personen zugänglich gemacht wurden und sich damit in deren rechtmäßigem Besitz befinden, § 3 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) GeschGehG.  Die Rechtmäßigkeit des Besitzes ist nach allgemeinen Regeln zu beurteilen, § 854 ff. BGB. Insbesondere liegt bei verbotener Eigenmacht oder fehlerhaftem Besitz kein rechtmäßiger Besitz im Sinne des § 3 GeschGehG vor, § 858 BGB.

Weiter setzt erlaubtes Reverse Engineering voraus, dass der rechtmäßige Besitzer keiner Pflicht zur Beschränkung der Erlangung des Geschäftsgeheimnisses unterliegt. Der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses darf dem Vertragspartner also nicht vertraglich untersagt haben, das Geschäftsgeheimnis durch Reverse Engineering zu erlangen.[7]

Der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses hat also die Möglichkeit, das Reverse Engineering vertraglich auszuschließen oder zu beschränken. Die vertragliche Vereinbarung muss wirksam sein.[8] Für Individualverträge ergeben sich hier keine Besonderheiten, d. h. soweit Klauseln nicht ausnahmsweise an den Grenzen der Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit scheitern, sind diese wirksam.

In der Praxis wird es sich bei Geheimhaltungsvereinbarungen allerdings in der Regel um vorformulierte Vertragsbestimmungen und damit um allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) im Sinne der §§ 305 ff. BGB handeln. Eine unwirksame unangemessene Benachteiligung kann sich gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB jedoch insbesondere daraus ergeben, dass die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Dies wirft die Frage auf, ob sich die grundsätzliche Zulässigkeit des Reverse Engineerings, die sich auch in verschiedenen immaterialgüterrechtlichen Regelungen [9] aufzeigen lässt, einen wesentlichen gesetzlichen Grundgedanken darstellt.

Jedenfalls zulässig ist das Reverse Engineering, soweit Spezialgesetze wie beispielsweise die Regelungen zum Schutz von Computerprogrammen es gestatten und vertragliche Abweichungen hiervon (sogar individualvertraglich) unwirksam wären, §§ 69d Abs. 3, 69g Abs. 2 UrhG.

Für wirksame Beschränkungen in AGB spricht, dass das Gesetz ausdrücklich die Möglichkeit einer abweichenden vertraglichen Vereinbarung offenlässt. Diese Möglichkeit würde praktisch auf einen vergleichsweise geringen Anwendungsbereich reduziert, wenn die Wirksamkeit solcher Beschränkungen an den AGB-rechtlichen Grenzen scheitern sollte. Im Ergebnis blieben damit Geschäftsgeheimnisse unschützbar, die im Wege des Reverse Engineering ermittelt werden können. Das widerspricht den Zielen des GeschGehG, das durch weitergehenden Schutz von Geschäftsgeheimnissen gerade kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Alternativen zu aufwändigen Schutzrechten wie Patenten bieten will.

Gegen wirksame Beschränkungen in AGB lässt sich darauf verweisen, dass der europäische Gesetzgeber gerade keine Exklusivrechte an Geschäftsgeheimnissen ermöglichen will. Unabhängige Entdeckungen sollen nicht eingeschränkt werden (Erwägungsgrund 16). In diesen Zusammenhang wird das Reverse Engineering in ein Regel-Ausnahme-Verhältnis eingeordnet: Reverse Engineering soll bei rechtmäßig erworbenen Gegenständen regelmäßig zulässig sein. Ausnahmen gelten nur, soweit das vertraglich vereinbart ist. Die Freiheit zur Vereinbarung solcher Ausnahmen kann wiederum rechtlich eingeschränkt werden (Erwägungsgrund 16). Einer AGB-rechtlichen Unwirksamkeit stünde jedenfalls keine europarechtlichen Bedenken entgegen. Für eine grds. Möglichkeit zum Reverse Engineering spricht auch der Verweis des europäischen Gesetzgebers auf (i) die weit verbreiteten Praktiken des Reverse Engineering, für die (ii) auf nationale Vorschriften zum unlauteren Wettbewerb verwiesen wird (Produktpiraterie, sklavische Nachahmung; Erwägungsgrund 17): Die Vermeidung solcher Praktiken wird gerade nicht im Anwendungsbereich des GeschGehG gesehen.

Im Ergebnis geht es um die autonome Auslegung der Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 lit. b) GeschGehG mit Blick auf das Ziel, durch die Richtlinie einen homogenen Mindestschutz für Geschäftsgeheimnisse im Binnenmarkt zu schaffen. Das Ziel wäre verfehlt, wenn die besonders enge Bindung an gesetzliche Leitbilder in der Inhaltskontrolle nach deutschem AGB-Recht im unternehmerischen Verkehr beschränkt auf Deutschland - im Kontrast zum übrigen EU-Ausland - zu einer weitgehenden Unwirksamkeit von Vereinbarungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen führen würde. Die in Erwägungsgrund 16 angesprochenen rechtlichen Grenzen solcher Vereinbarungen sollten gerade nicht das grundlegende Ziel des vereinheitlichten Mindestschutzes von Geschäftsgeheimnissen im Binnenmarkt in Frage stellen, Art. 1 Abs. 1, Erwägungsgrund 3. Damit sprechen mit Blick auf die Vermeidung wesentlich abweichender Schutzmöglichkeiten für Geschäftsgeheimnisse nach deutschem Recht wegen der weitreichenden Inhaltskontrolle von AGB im unternehmerischen Verkehr überwiegende Gründe dafür, dass Beschränkungen des Reverse Engineering auch in AGB vereinbart werden dürfen.

d) Arbeitsrechtlicher Zugang (Nr. 3)

Nr. 3 gestattet die Erlangung eines Geschäftsgeheimnisses durch Geltendmachung des arbeitsrechtlicher Information- und Anhörungsrechte bzw. auf Mitwirkung und Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter.

Beteiligungsrechte der Arbeitnehmervertretungen können somit nicht mit dem Hinweis auf das Vorliegen von Geschäftsgeheimnissen eingeschränkt werden. Die Regelung entspricht der derzeitigen Rechtslage und entfaltet daher lediglich klarstellende Wirkung.[10] Insbesondere können solche Beteiligungsrechte ausdrücklich durch Geschäftsgeheimnisse beschränkt sein (z. B. § 106 BetrVG). Diese Beschränkungen werden durch Nr. 3 nicht aufgehoben, sondern es wird lediglich die Normenkonkurrenz aufgelöst.

Arbeitsrechtliche Geheimhaltungsverpflichtungen bleiben unberührt, d. h. das Geschäftsgeheimnis kann anschließend nicht beliebig genutzt oder offenbart werden (vgl. z. B. § 79 BetrVG). Derart erlangte Geschäftsgeheimnisse werden zwar erlangt, führen aber nicht zur rechtmäßigen Kontrolle der handelnden Personen im Sinne der Inhaberschaft an den Geschäftsgeheimnissen.

aa) Gestattung durch Gesetz oder Rechtsgeschäft (Abs. 2)

Nach Abs. 2 darf ein Geschäftsgeheimnis erlangt, genutzt oder offengelegt werden, wenn dies durch Gesetz, auf Grund eines Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft gestattet ist. Im Gegensatz zu Abs. 1 betrifft Abs. 2 alle Phasen der Nutzung und ist nicht wie Abs. 1 lediglich auf die Erlangung beschränkt. Abs. 2 regelt jedoch selbst keine Erlaubnis. Vielmehr wird klargestellt, dass sich Erlaubnisse aus gesetzlichen und rechtsgeschäftlichen Quellen ergeben können. 

Ausreichend sind damit formelle und materielle Rechtsnormen der Union und nationaler Rechtsordnungen, die den Umgang mit dem Geschäftsgeheimnis vorschreiben oder erlauben, Art. 3 Abs. 2. Die Vorschrift soll insbesondere klarstellen, dass Sonderregelungen zu Geschäftsgeheimnissen in anderen Gesetzen vorgehen.[11] Dies betrifft z. B. die Rechte der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer (Erwägungsgrund 18 der Richtlinie). Erfasst werden auch Vorschriften, die den Umgang mit Informationen regeln, die zugleich auch Geschäftsgeheimnisse darstellen können. Erfasst ist auch unmittelbar geltendes Unionsrecht, so dass beispielsweise die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung den Regeln des Gesetzes vorgehen, soweit personenbezogene Daten zugleich Geschäftsgeheimnisse darstellen.

Erlaubt und damit jedenfalls keine Verletzungshandlung im Sinne der Handlungsverbote nach § 4 GeschGehG ist eine rechtsgeschäftlich gestattete Erlangung, Nutzung oder Offenlegung. Hierunter fallen nicht nur Lizenzverträge, sondern auch sonstige Gestattungen. Erforderlich sind Vereinbarungen zwischen einem Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses und der jeweils handelnden Person. Das Gesetz stellt keine Formanforderungen, so dass vorbehaltlich der Besonderheiten der Geschäftszusammenhänge im Einzelfall (z.B. bei Fernabsatz, Immobilientransaktionen usw) auch konkludent geschlossene Vereinbarungen ausreichen. Insoweit wird es insbesondere nach Inkrafttreten des GeschGehG in etlichen unklar formulierten Vereinbarungen auf die Auslegung mit Blick auf den Vertragszweck, sonstige Regeln über Nutzungsrechte und salvatorische Klauseln ankommen.

Ob derartige vertragliche Verbote wirksam sind, ist an §§ 134, 138, 305 ff. BGB zu messen. Ihre Verletzung begründet – soweit die Handlung nach dem Gesetz nicht verboten gewesen wäre – kein Delikt, sondern nur einen Vertragsverstoß.

Eine rechtsgeschäftliche Gestattung des Umgangs kann unter Beschränkungen,Bedingungen und Auflagen vereinbart werden. Mindestnutzungsrechte für bestimmte Nutzungsarten oder sonstige Kategorien zum Verkehrsschutz sind für Geschäftsgeheimnisse nicht vorgesehen (anders als z.B. im Urheberrecht). Die Gestattung kann also nach schuldrechtlichen Grundsätzen flexibel limitiert und ausgestaltet werden, z.B. durch zeitliche, räumliche und inhaltliche Beschränkungen und auflösende Bedingungen. So kann mit minimalem Regelungsaufwand eine sehr scharf pönalisierte Rechtseinräumung vereinbart werden. Für Lizenznehmer drohen damit insbesondere die Ansprüche der §§ 6 ff. GeschGehG (z.B. fiktive Lizenzgebühr, § 8 Abs. 2 GeschGehG) bei sorglosem Umgang mit lizenzierten Geschäftsgeheimnissen.

(1) Prozessuales/Vertragsgestaltung

Prozessual handelt es sich bei den erlaubten Handlungen nicht um Einwendungen gegen Angriffe wegen (vermeintlicher) Verletzung von Handlungsverboten. Der Anspruchsteller hat zunächst darzulegen und zu beweisen, dass er als Inhaber des streitgegenständlichen Geschäftsgeheimnisses anzusehen ist, das der (vermeintliche) Rechtsverletzer/Anspruchsgegner erlangt, genutzt oder offengelegt hat, §§ 6 ff.GeschGehG. Die Qualifikation als Rechtsverletzer setzt voraus, dass die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung entgegen § 4 erfolgt, d.h. der Anspruchsteller hat grds. auch die Voraussetzungen des § 4 darzulegen und zu beweisen. Die Tatbestände der §§ 3 und 5 GeschGehG spielen insoweit für die Bestimmung der Voraussetzungen des § 4 GeschGehG eine Rolle. Es gibt gerade keine gesetzliche Vermutung dahin, dass ein ohne Erlaubnis des Inhabers eines Geschäftsgeheimnisses erfolgte Nutzung eines Geschäftsgeheimnisses ein Handlungsverbot nach § 4 GeschGehG erfüllt.


[1] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 25.

[2] Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 25.

[3] Vgl. Nemethova/Peters, DSRITB 2017, 409, 418.

[4] Vgl. Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 176.

[5] § 2 Rn. 18 ff.

[6] Vgl. Leister, GRUR-Prax 2019, 175, 176; Apel/Walling, DB 2019, 891, 896 m.w.N.

[7] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 26.

[8] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 26.

[9] Rn. 8.

[10] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 26.

[11] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 19/4724, S. 26